aus bma 5/13
von Ulli Sionkiewicz

IReady-to-Rock-n-Rollntro… Ein Samstag im Oktober: Heute um elf beginnt der Vorverkauf für die Deutschlandtour von AC/DC. Schon fünf Minuten vorher sind die Server diverser Kartenshops im Internet nicht mehr erreichbar. Zwanzig Minuten später sind die sieben Konzerte in den größten Hallen Deutschlands ausverkauft. Leider bin ich nicht zum Ticketshop in die Stadt gefahren, sondern habe bloß den Rechner hochgefahren. Bei einem bekannten Internetauktionshaus gehen die Tickets in den nächsten Tagen mit mehr als 100% Aufschlag weg. Aber es gibt Alternativen: Der Vorverkauf für Budapest hat noch nicht begonnen, und ein Billigflieger fliegt da von meinem Wohnort Bremen aus hin. Der Konzertticketkauf übers Internet klappt diesmal tatsächlich, auch wenn ich nicht weiß, ob ich nun Rang oder Innenraum gekauft habe.
Im Januar stellt Ryanair die Flugverbindung nach Budapest überraschend ein. Das Konzert ist an einem Montag im März. Andere Flugverbindungen gibt es nur dienstags und donnerstags, das passt nicht und ist auch wesentlich teurer. Auto? Uncool. So entstehen Motorradtouren, bei denen nicht der Weg, sondern das Ziel das Ziel ist.

Nach einer stressigen Woche im Job wird am Samstagmorgen im März das Moped rausgeholt. Super, nach einer kurzen Tour im Februar hatte ich die Batterie meiner ZX-9R nicht abgeklemmt, starten wird nichts. Erst einmal ein paar Stunden ans Ladegerät, Zeit in Ruhe zu packen. Nachmittags geht’s dann los, aber nur bis in den Harz zu Freunden.
Der nächste Morgen ist noch recht frostig. Auf der Landstraße kurz vor Bernburg grüße ich einen anderen Biker, der gerade aus einer Hofeinfahrt kommt. Im Rückspiegel sehe ich, wie er sich beim Losfahren aufs Brett legt. Vollbremsung und kehrt, aber er steht schon wieder. Seine R6 hat leichte Blessuren an der Verkleidung, Hand und Knie sind blutig. Morgens um halb zehn in Deutschland, mal eben ohne Handschuhe in Jeans zur Tanke zum Kippen holen. Mit kalten Sportreifen bei Temperaturen knapp über Null. Stimmt wohl, rauchen gefährdet die Gesundheit.
Auf der Autobahn kurz vor Dresden muss ich Schmunzeln, auf einem Schild steht „Wilde Sau“, der Name des Flüsschens, das hier gerade überquert wird. Das lassen wir mal lieber, der Seitenwind ist recht stark, und bringt vor allem am Anfang und Ende von Lärmschutzwänden Unruhe. Heute gilt mal „Freiwillig 200!“, dabei liegt sie noch wie ein Brett.

Wien-Fiaker-am-StephansdomSüdlich von Dresden biege ich ab auf die Landstraße, um die Konzentration zu erhalten. Die alte Europastraße 55 über Altenberg und Zinnwald nach Tschechien habe ich von einer früheren Tour noch in Erinnerung. Sie ist eine Abkürzung zur Autobahn, auch wenn ich dadurch keine Zeit spare. Doch die Fahrt wird enttäuschend. Die Gleise der alten Schmalspurbahn unter Dampf, die hier vor wenigen Jahren noch als Verkehrsmittel und Touristenattraktion diente, sind überall unterbrochen und abgebaut. Altenberg empfängt mich mit Nieselregen und Nebel mit etwa hundert Meter Sicht, an den Straßenrändern noch gut zehn Zentimeter Schnee. An die Höhenlage hatte ich nicht gedacht. An einer Tankstelle wärme ich mich auf und bemerke erst dabei, dass der Wintersportbetrieb mit Lift am gegenüberliegenden Berghang auf gleicher Höhe noch in vollem Gange ist.
Schnell weiter, auf der anderen Seite geht es ja wieder ins Tal – doch die Beschilderung führt nicht etwa über das nahegelegene Zinnwald, sondern zur neuen Autobahn und mit einem Riesenschlenker nach Tschechien hinein. So eiskalt bin ich lange nicht verarscht worden von Schilderaufstellern.

Wien-Palmenhaus-Schloss-SchoenbrunnAuf der anderen Seite des Erzgebirges gibt es zur Versöhnung etwas Sonnenschein und billigen Sprit. Eine Anzeige behauptet, dass es 6 Grad Lufttemperatur und 10 Grad auf dem Asphalt seien, in der Sonne kommt es mir sogar etwas wärmer vor. Weil noch ein paar Kilometer Autobahn fehlen, führt die Route noch einmal durch einen Ort. Hier springt mir eine frisch gewaschene weiße Stretchlimousine mit US-Kennzeichen ins Auge, die vor den ungepflegten Häusern reichlich deplaziert wirkt. Wäre schon interessant zu wissen, ob hier ein Star einen Film dreht oder Verwandte besucht. Dem Fotostopp folgt drei Kilometer weiter ein Zwangsstopp. Nach einem Unfall laufen die Bergungsarbeiten, und auch wenn vor dem Abschleppwagen genug Platz zum Vorbeifahren wäre, zeigt mir ein Freund und Helfer mit Gesten deutlich, dass er genau das nicht möchte.
Prag lasse ich auf dem Hinweg links liegen, auch wenn es eigentlich rechts ist. Auf dem Stadtring ist man schnell dran vorbei Richtung Brünn. Die Straße schraubt sich langsam höher, an den Straßenrändern liegt schon wieder Schnee. Endlich kommt die Abzweigung auf die Landstraße Richtung Wien, ein paar Mal musste ich schon anhalten und den Auspuff gut festhalten. Verdammt kalte Pfoten. Aber Griffheizung an einem Supersportler? Das ist gegen die Ehre.
Hate, der letzte Ort in Tschechien vor der Grenze, hat im Dämmerlicht ein bisschen was von Klein-Las Vegas. Hier gibt es vieles, was in Österreich illegal oder deutlich teurer ist, von Spielcasinos bis zu Rotlichtbetrieben. Entlang der Straße findet sich ein Wüstenpalast, ein Savannenhotel und sogar ein Passagierflugzeug. Früher gab es hier nichts, und nach der Grenzöffnung dann ein paar Tschechinnen, die gelangweilt an der Straße standen und wohl auf den Bus warteten. Ein paar Monate später konnten sich einige dann einen eigenen Bus leisten.

Wien-Knochen-Katakomben-im-StephansdomDirekt an der Grenze werde ich von der Polizei angehalten. Puh, zum Glück sind es die Ösis, also nicht wegen Geschwindigkeit. Die Papiere bittschön und woher und wohin, ich plaudere freundlich mit und zeige nur Perso und Zulassung, was der jungen Beamtin aber nicht auffällt. Es soll ja in Österreich schon Strafen dafür gegeben haben, dass man nicht die neue Fahrkarte, sondern wie ich den alten rosa Lappen hat.
Auf Nebenstraßen geht es nach Wien, weil ich mein schönes Moppet nicht mit einer hässlichen Vignette verunzieren will. Es sind eh nur ein paar Kilometer von und nach Wien, die die Autobahn beschleunigen würde, da ich bei Freunden nahe Wien übernachte. Die zeigen mir ihren Humor, indem sie mich zur Nacht der offenen Museen in die Katakomben des Stephansdoms schleppen. Hier stapeln sich die Gebeine von Tausenden Toten. Als um 1713 die Pest in Wien wütete, hatte man keine Möglichkeit, die unzähligen Toten ordnungsgemäß zu bestatten. Damals wurde außen an der Seite des Doms eine Öffnung gegraben, durch die man die Toten über eine Art Rutsche in einen Karner (Pestgrube) in den Hohlräumen unter dem Dom, hineingleiten ließ. War ein Raum bis unter die Decke voll, wurde er zugemauert, und der nächste genommen. Im 19. Jahrhundert haben Mönche und Sträflinge dann hier unten so etwas Ähnliches wie Ordnung geschaffen, und die Knochen gestapelt. Mit Rücksicht auf meine Fahrtüchtigkeit am nächsten Tag kehren wir hinterher lieber nicht beim Heurigen, sondern nur beim Chinesen ein.

Wien-Gloriette-im-Park-Schloss-SchoenbrunnAm nächsten Morgen besichtige ich noch kurz die Gärten von Schloss Schönbrunn. Auf dem riesigen Gelände gibt es neben dem Schloss selbst, das um diese Uhrzeit noch geschlossen ist, einige interessante Bauwerke wie das Palmenhaus und die Gloriette. Danach geht es entlang der Donaukais durch die Hauptstadt raus zum Flughafen und weiter an der Donau entlang, vom Fluss sieht man dabei leider kaum etwas. In Hainburg ist in der schmalen Ortsdurchfahrt ein längerer Stau, es geht nur zäh weiter. Nach links zweigt eine Straße ab mit einem Hinweisschild Donauauen, das ist jetzt genau das richtige. Nach Unterquerung der Bahnstrecke, die direkt am Fluss entlang führt, liegt ein großer Parkplatz direkt an der Donau, mit Bänken am Wasser und traumhaftem Ausblick. Ein Wanderweg führt von hier durch kleine Tunnel im Fels direkt am Fluss entlang, ein folge ihm ein Stück zu Fuß, aber für drei Stunden Rundwanderweg ist keine Zeit, das Konzert ist ja schon heute Abend.

Schon am Ortsausgang des romantischen Touristenörtchens Hainburg mit urigen Weinlokalen und Donauufer sieht man in der Ferne die sozialistischen Plattenbauten von Bratislava in der Sonne glitzern. Welch ein Kontrast, der ganze Berghang am gegenüberliegenden Ufer ist mit Wohnsilos zugebaut. In der Slowakischen Republik erwartet mich eine Überraschung: Der Sprit ist hier, auch noch an der dritten Tankstelle, teurer als in Österreich. Irrtum ausgeschlossen, beide Länder gehören zur Eurozone. Die Slowakei aber erst seit kurzem, deshalb tausche ich in der Tanke einen Zehner in slowakische Euromünzen, die ich für Freunde einstecke, und biege gleich wieder ab auf die mautfreie Autobahn nach Ungarn.
In Ungarn gibt es die elektronische Vig­nette, man zahlt und das Kennzeichen wird im System gespeichert. Schöner als ein hässlicher „Backel“, aber ein fader Beigeschmack bei der Datenspeicherung bleibt. Im Übrigen hätte man sich die umgerechnet 1,70 Euro für vier Tage Motorradmaut auch sparen können, der Verwaltungsaufwand ist vermutlich genauso hoch. Das ist in Tschechien besser, dort sind Motos komplett von der Maut befreit.

Budapest-FischerbasteiNach einiger Zeit wird Ungarn etwas hügeliger, die Straße windet sich am Berg entlang. Bei Tatabánya lockt ein Rasthof mit Panoramablick, und der ist wirklich nicht schlecht. Links der Straße oben am Berg sind kleine, spitze Häuschen, teilweise aus Holz, viele mit sichtbaren Erweiterungen. Noch weiter oben einzelne Villen, die das Tal überschauen. Rechts der Straße sind unten im Tal die typischen, alten 5- und 10-geschossigen Plattenbauten, hier ist noch alles grau in grau. Viele Bewohner haben die Fenster wohl selbst ersetzt, das breite Stubenfenster sieht in jedem Stockwerk anders aus, mal zwei gleiche, mal zwei unterschiedliche, mal drei oder vier Fensterflügel. Neben den Platten ein neuer Supermarkt einer bekannten Marke mit riesiger Parkfläche. Überhaupt sind alle bekannten Marken hier zu finden, die Autohersteller sowieso, aber auch Praktiker, Bauhaus, Obi und Ikea finden sich hier, die Globalisierung hinterlässt ihre Spuren. Erstaunlich, dass im Gegensatz dazu in Österreich Aldi noch immer „Hofer“ und Plus noch immer „Zielpunkt“ heißt.
Am frühen Nachmittag erreiche ich Budapest. Nach längerer Suche finde ich ein Zimmer in einer Pension in der Nähe der Konzertarena, denn dort will ich zu Fuß hin. Damit ich das Konzert wirklich genießen kann. Nicht wegen Alkohol – ich will nur mit dem ganzen Motorrad wieder zurück. Beim letzten Mal in Budapest fehlte nach dem Besuch auf der Burg ein Spiegel.

Nach einem guten Konzert und einer kurzen Zugabe aus „Highway to Hell“ und „For those about to rock“ ist Schluss, die Roadies legen sofort mit der Arbeit los und bauen ab. Der Grund dafür war mir schon vorher auf Plakaten in der Stadt aufgefallen: Morgen Abend spielt an gleicher Stelle P!NK. Das ist sportlich, denn AC/DC sind mit 17 Sattelzügen unterwegs, P!NK hat sicherlich auch nicht wenig Zeug, und der Aufbau dauert ja immer etwas länger.

Budapest-Blick-vom-GellerthuegelDas Motorrad kann den Tag über noch sicher in der Garage der Pension bleiben, auch wenn ich ausgecheckt bin, daher erkunde ich Budapest mit den Öffentlichen. An der Elisabethbrücke mache ich mich zu Fuß an den Aufstieg zur Zitadelle. Nach etwa 270 Stufen ist auf halbem Wege ein Aussichtspunkt mit Bank. Ein traumhafter Blick über den östlichen Stadtteil Pest, die Donau und die nördlich gelegenen Teile von Buda mit dem Burgberg belohnt für die Strapazen – schon jetzt ist man höher als die Spitzen von Fischerbastei und Burg. In Pest sind der Bahnhof Keleti mit dem dahinterliegenden Stadion und dem Ort des gestrigen Konzerts klar auszumachen. Die berühmte Kettenbrücke zwischen den beiden Ortsteilen wirkt im Vergleich zur davor liegenden Brücke winzig und gedrungen, doch die Größe der darüber fahrenden Spielzeugautos zeigt, dass dies nur eine optische Täuschung ist.

Nachdem ich mich sattgesehen habe, mache ich die Bank für ein gerade ankommendes Liebespaar frei. Schon fünfzig Meter weiter ist der nächste Aussichtspunkt, nun mit einem Blick auf die Freiheitsbrücke und das südliche Buda. Während sich direkt unter mir Villen mit großen Gärten ein Stelldichein geben, wechseln sich in der Ferne bunte und graue Plattenbauten mit flacher Bebauung ab. Nach einem Gang um die Zitadelle steige ich durch einen Park zum Gellertbad ab. In Budapest gibt es über hundert Thermalquellen und zahlreiche Heil- und Thermalbäder, und ein Besuch in einem Bad ist bei einem Aufenthalt in Budapest Pflicht. Mit seiner Säulenhalle, dem auffahrbaren Dach und den kleinteiligen Mosaikfliesen ist das Gellert das berühmteste der legendären Budapester Thermalbäder, und das nicht erst seit die Manager einer deutschen Versicherungsgruppe hier eine Orgie gefeiert haben.

Budapest-ZitherspielerNach anderthalb Stunden geht es entspannt weiter zum Burgberg. Vor der Burg sitzt ein Zitherspieler in traditionell aussehender Bekleidung und verdient sich ein paar Münzen. Nach einem Rundgang um die Burg, der in einer Sackgasse im Innenhof endete, esse ich ein Stück hausgemachte Torte im Ruszwurm, dem ältesten Kaffeehaus von Budapest. Danach geht es an der eindrucksvollen Matthiaskirche vorbei zur Fischerbastei. Doch schon nach dem ersten Foto wird fotografieren unattraktiv, eine gerade ankommende Busladung asiatischer Touristen blockiert alles und lässt die Kameras klicken, und ich komme mir vor wie auf der Chinesischen Mauer. Aber es wird ohnehin langsam Zeit für den Heimweg. Da die Standseilbahn zwischen Burgberg und Fluss wegen Wartungsarbeiten geschlossen ist, geht es zu Fuß bergab und zurück zur Unterkunft.

Als ich bei der Abfahrt noch kurz an der Donau entlang cruise, verabschiedet sich Budapest mit einem Hagelschauer. Doch trotzdem reite ich über die Kettenbrücke Richtung Sonne, und über den Highway zurück Richtung Österreich.
Auf der Suche nach einer Unterkunft in den Vororten Wiens stoße ich auf eine kleine Pension. Nein, ein Einzelzimmer wie angeschlagen zu 33 Euro sei bedauerlicherweise nicht mehr frei, aber man würde mir eines der beiden Doppelzimmer zur Einzelbelegung für 49 Euro überlassen, sagt der Wirt. Das sei immerhin 8 Euro günstiger als der normale Preis für ein Doppelzimmer. Komisch, mir erscheint es eher 16 Euro teurer als das Einzelzimmer, deshalb frage ich nach dem Grund für diesen Aufpreis. Weil ja gleich noch Gäste kommen könnten, die ein Doppelzimmer haben wollen, und man müsse auf die Zahlen schauen. Vielleicht sollte man auch mal auf die Uhr schauen, entgegne ich etwas freundlicher formuliert, denn es ist schon zehn vor neun. Nein, also gleiches Recht für alle, und man sei schon seit dreißig Jahren im Geschäft. Ich habe das Gefühl, dass man in dieser Zeit viel Erfahrung im Abzocken gewonnen hat. Dass es keinen sicheren Stellplatz für das Motorrad gibt, hatte ich vorher schon erfahren, und als ich dann noch sehe, dass das Frühstück nicht im Preis enthalten ist, habe ich endgültig die Nase voll. Auch um 21 Uhr habe ich noch Prinzipien. Drei Straßen weiter finde ich Unterkunft in einem Drei-Sterne-Hotel zu 45 Euro incl. Frühstück, wo man mir selbstverständlich zum gleichen Preis ein Doppelzimmer gibt, weil kein Einzelzimmer mehr frei ist. Das Motorrad steht sicher im abgeschlossenen Innenhof, und auf die Frage nach gutem und preiswertem Essen werde ich nicht etwa zur benachbarten gutbürgerlichen Küche geschickt, sondern ein paar hundert Meter die Straße runter zu einem Thai, der sich als exzellent erweist.

Budapest-Blick-von-der-FischerbasteiWährend des Essens nehme ich unbewusst einen Blitz wahr und schaue aus dem Fenster – draußen schneit es, und gleich darauf höre ich den Donner. Das habe ich noch nie erlebt, ein Gewitter mit Schneefall? Ich beschließe, mir heute noch dringend irgendwo einen Wetterbericht anzusehen, auch wenn der Schneefall auf dem Rückweg schon wieder aufgehört hat.
Zurück im Hotel wird meine Frage nach einem Internetcafe wird mit einem Lächeln beantwortet: „Wie lange wollen Sie denn?“ Na ja, so eine Viertelstunde, antworte ich. „Warten Sie, ich gebe Ihnen eben einen Code für den Internetrechner hinten.“ Ich erkundige mich vorsichtshalber nach dem Preis. Die Antwort in breitem Wienerisch zaubert mir ein Lächeln ins Gesicht: „Das basst schoh, is‘ gratis, nutzt ja sonst jetzt eh keiner!“ Die drei Straßen weiter haben sich gleich mehrfach gelohnt, und das Gartenhotel Gabriel im 3. Wiener Bezirk kann ich für Motorradfahrer wirklich weiterempfehlen.

Budapest-MatthiaskircheDie Idee, lieber noch etwas an der Donau entlangüber Linz nach München zu fahren, und dann notfalls mit dem Autozug zurück nach Norddeutschland zu reisen, kann ich ganz schnell abhaken. „Mit einer großräumigen Strömung trifft heute ein weiteres Frontensystem im Alpenraum ein“, sagt der Wetterbericht im Internet. Auf dem Weg nach München sind starke Schneefälle, es werden 20 cm Neuschnee erwartet. Richtung Norden geht es noch, also wieder über Prag zurück. Und bitte etwas Feuer, die Schneefront zieht langsam nach Osten. Also am nächsten Tag wieder an Prag vorbei ohne Stadtbesichtigung.

Kurz vor der deutschen Grenze packt mich der Ehrgeiz: Die alte E55 muss doch zu finden sein. Und tatsächlich finde ich aus dieser Richtung im Schneegestöber den richtigen Weg. Der Wind weht den Schnee von der Straße an die Ränder, aber an manchen Stellen sind doch Schneewehen auf meinem Weg. Deshalb lasse ich das Motorrad bergab ohne Gas im hohen Gang rollen. Als ich im Tal bin und das Gas wieder aufziehe, bockt die Kiste unwillig, als ob ich auf Reserve schalten müsste. Das kann aber gar nicht sein, denn vor gut dreißig Kilometern, kurz vor der Grenze, habe ich ja vollgetankt. Die Kühlwassertemperatur zeigt 56 Grad, so wenig hatte ich im Fahrbetrieb noch nie. Dann fällt es mir wie Schuppen von den Augen, knapp über Null und feuchtkalte Witterung, das Problem hatte ich vor zehn Jahren bei meinem alten Passat auch mal, dort aber wegen eines Defekts der Vorheizung: Vergaservereisung! Das ich das noch mal erleben darf.

Nach einer kurzen Pause hat die Motorwärme den Vergaser aufgetaut, und es kann weiter gehen. Am Ende der Landstraße kehre ich in einem Gasthof ein, inzwischen ist die Sonne untergegangen und es ist doch recht frisch. Jetzt eine heiße Suppe. Wie groß sind denn hier die Suppen? Man zeigt mir eine Tasse. Na, dann nehm ich zwei. Und dazu eine große Spezi. Die Wirtin meint es gut, und macht dann gleich eine Terrine. Trotzdem ist mir immer noch kalt. Bei den Gästen erkundige ich mich, ob ich jetzt besser zu Freunden nach Berlin oder in den Vorharz weiterfahre. Sie sind erst mal völlig geplättet, dass ich überhaupt noch weiter will und nicht hier übernachte. Mit einem Augenzwinkern erfahre ich dann, dass auf der Autobahn nach Berlin im Moment eine Baustelle nach der nächsten kommt, und dort auch dauernd geblitzt wird, und zwar auch von hinten. Da die Kälte ohnehin müde macht, würde mich langsam fahren überfordern, und so entschließe ich mich für die längere Fahrt nach Goslar. Als ich den Gasthof verlasse, bin ich wieder einigermaßen warm und auf der Rechnung stehen vier Suppen und vier Spezi. Die Weiterfahrt klappt gut, auch wenn ich am Ende mit Eis auf dem Visier zu kämpfen habe.
Am nächsten Tag, auf den letzten Kilometern nach Bremen, überlege ich, ob nicht eine Enduro für diese Tour besser gewesen wäre. Aber warum wechseln, wenn man ein reise- und langstreckentaugliches Superbike hat? Bloß weil eine Griffheizung dann ok wäre?