aus bma 5/00

von Jens Riedel

Da steht sie nun, ganz neu und doch unverkennbar die Alte. Zum Jahr 2000 hat Honda die Transalp grundlegend überarbeitet und dem mittlerweile betagten Langläufer mit derHonda XL 650 V Transalp Verjüngungskur sicher einige weitere erfolgreiche Jahre beschert.
Seit 1986 stand die Transalp in den Schauräumen und machte sich als erste Reise-Enduro mit Wetterschutz und dem Modellzusatz „Rallye-Touring” den Paris-Dakar-Mythos zunutze. Dass im weiteren Produktionsverlauf nur eher an Kleinigkeiten gefeilt wurde, zeigt, dass die Transalp von vornherein recht ausgereift war und Honda (wieder einmal) ein großer Wurf gelungen war. Im Prinzip wurden lediglich zunächst die hintere Trommel- durch eine Scheibenbremse ersetzt, und das Vorderrad bekam irgendwann eine zweite spendiert. Das war’s im Groben an Modellpflege. Der Motor genoss rasch einen Ruf als zuverlässiger Begleiter, der problemlos für die magische 100.000er-Grenze gut ist.
Auffälligste Änderungen beim 2000er-Modell sind die wesentlich rundere Verkleidung mit den wunderschön gebogenen Blinkern und die markanten Tankausbuchtungen. Dass das neue Kleid mehr als nur eine reine Schönheitsoperation ist, wird schon nach wenigen Kilometern deutlich: Die Beine sind hervorragend vor dem Fahrtwind geschützt. Die Transalp zeigt jetzt klar ihre Verwandtschaft zur größeren Varadero (bzw. wohl eher umgekehrt).

 

Honda XL 650 V TransalpVöllig neu ist auch die Instrumententafel, die deutlich gefälliger wirkt und vor allen Dingen praxisgerechter ausfällt, ohne unnötigen Schnickschnack mit sich herzumzutragen. Mit an Bord sind jetzt endlich Tank- und Zeituhr, weggefallen ist dafür die ebenfalls ohnehin zuletzt längst überholte Warnleuchte für den ausgeklappten Seitenständer. Apropos Leuchten: Sie verdienen ihren Namen wirklich und sind auch bei Sonnenschein gut zu sehen. Ausnahme ist hier die Fernlichtkontrolle, sie funzelt unbegreiflicherweise weiter vor sich hin. Und warum die Japaner bis heute keine Anzeige für das Abblendlicht ins Cockpit einbauen, bleibt mir ein Rätsel.
Doch damit erschöpfen sich die Kritikpunkte auch. Der Modellpflege zum Opfer gefallen ist auch endlich der längst antiquierte hervorstehende Tankdeckel, der jetzt ins Blech eingelassen ist und so den Tankrucksack nicht mehr unnötig ausbeult. Das Spritfass hat jetzt 19 statt bislang 18 Liter.
Wer erst einmal losfährt… – doch halt, sahen nicht auch die Zylinder bislang doch etwas anders aus? Schön mit Kühlrippen versehen? Und jetzt? Die beiden Silberlinge sind deutlich geglättet und machen keinen Hehl mehr daraus, dass hier eine Wasserkühlung am Werke ist. Und ein wenig wuchtiger sehen sie auch aus. Tatsächlich: Maßvoll haben die Ingenieure den Hubraum auf 647 Kubikzentimeter angehoben, die Leistung stiegHonda XL 650 V Transalp ebenfalls bescheiden um ein paar PS auf nunmehr 53. Mehr Drehmoment im unteren und mittleren Bereich verspricht Honda durch die Motorüberarbeitung. Vorsicht war sicher geboten, um die gebührende Distanz zur Africa Twin zu wahren. Geblieben sind drei Ventile und zwei Zündkerzen pro Zylinder für gute Verbrennung und maßvollen Durst. Die Höchstgeschwindigkeit wuchs immerhin um neun Stundenkilometer auf nun fast 170 km/h. Für Anhänger nackter Zahlen: Die 55 PS liegen bei 7500 Umdrehungen an (vorher 50 bei 8000 U/min) und das maximale Drehmoment beträgt 55 Nm bei 5500 U/min (53 bei 6000 U/min). Die 34 PS-Version gleicht mit einer Ausnahme in den Eckdaten der alten Transalp. Das maximale Drehmoment kletterte hier von 45 auf 51 Nm bei 2750 U/min.
Ebenfalls zwei alte Bekannte arbeiten am Heck: Die charakteristischen Auspuffendrohre sind der Transalp erhalten geblieben. Mit dem bekannten satten Sound erwacht der Motor zum Leben und kann sich nicht so recht entscheiden, ob er nun sonor sein oder zum Brüllen bereit klingen soll. Der Vortrieb geht in Ordnung, ab 5000 Umdrehungen legt sich die 650er noch einmal besonders ins Zeug. Die Schaltwege sind optimal, die Gänge klacken nicht laut, sondern klicken leise zufrieden ein.
Das Fahrwerk ist und bleibt untadelig. Punktgenau lässt sich die Honda überall hin dirigieren, nimmt sogar dankbar Kniedrücken an. Lenkerreissen bringt bis Tempo 100 die Transalp nicht aus der Ruhe. Zwischen 130 und 150 km/h schlackert es leicht an der Schwinge, wenn man es denn dann mal wirklich darauf anlegt, aber stets bleibt das trocken 191 Kilogramm schwere Gefährt gutmütig und berechenbar. Ab 150 stabilisiert sich das Ganze dann sogar wieder etwas.
Honda XL 650 V TransalpPerfekt ins Bild passen dazu die weiterhin über jeden Zweifel erhabene Doppelkolben-Doppelscheibenbremse, deren Druckpunkt konti- nuierlich mit der Handkraft ansteigt und fest zupackt, ohne dass die Vordergabel allzu tief in die Knie geht. Die hintere Scheibe wird da kaum benötigt, reagiert deshalb auch sehr sanftmütig, blockiert erst spät und dann auch auf völlig harmlose Weise. Die Summe aller dieser Eigenschaften in Kombination mit den bereits von der Vorgängerin bekannten Bridgestone Trail Wings sorgt dafür, dass den Piloten so schnell nichts ins Schwitzen bringen kann.
Schweißtreibend könnte wohl eher der Ritt ins Gelände ausfallen, doch dafür war schon die Ur-Transalp nicht geschaffen worden. Das weiß natürlich auch Honda und zog beim neuen Modell sogar noch gut zwei Zentimeter Federweg hinten ab, was auch der Sitzhöhe zugute kam. Sie fällt etwas niedriger aus, dafür wuchs die Sitzbank zwecks höherem Komfort etwas in der Breite. Unter dem, auch für den Sozius angenehmen, Polster gibt es jetzt mehr Stauraum, Platz findet dort nun sogar das Schloss. Das ebenfalls modifizierte, stufenlos verstellbare Pro-Link-Federbein wird durch eine einfache, aber wirkungsvolle Plastikabschirmung vor allzu viel Schmutz vom Hinterrad bewahrt. Auch hier können sich, wie in einigen anderen Bereichen, andere Hersteller ruhig einmal die Mühe machen, die simple Sache aufzugreifen. Einziger Schönheitsfehler an unserer Maschine war die an einer Stelle nicht ganz bündig zur Scheibe schließende Verkleidung.
Alles in allem ist die 2000er-Transalp deutlich gereift und wird ihrem Ruf als langstreckentauglicher und zuverlässiger Reisebegleiter gerechter denn je – sie ist ein bisschen weniger Enduro und ein bisschen mehr Tourer als ihre Vorgängerin. Dazu gehört auch das umfangreiche Zubehörangebot aus dem Hause Honda, das neben einer höheren Scheibe und Koffern sogar noch einen CD-Player inklusive Gegensprechanlage bereit hält.
14.260 Mark verlangt der Händler für die Neue, die in Rot, Schwarz und einem grün-stichigen Grau zu haben ist. Das sind gut 1200 Märker mehr als für das ’99er Modell. Wer jetzt noch erfährt, dass die Transalp 650 V neben den erwähnten lobenswerten Veränderungen nicht nur eine patentierte Wegfahrsperre sondern sogar noch einen ungeregelten Katalysator spendiert bekommen hat, kann dies nur als maßvolle Preisanhebung werten. Wie eben alles maßvoll verändert wurde. Zum vollkommenen (Rallye-) Touring-Glück fehlt jetzt nur noch der Kardanantrieb. Aber der kommt ja vielleicht nach Ablauf der nächsten 14 Jahre bei der Transalp der dritten Generation.
Die Testmaschine wurde uns freundlicherweise von Kindel & Wetzel in Elmshorn zur Verfügung gestellt – und hat die (Motorrad-)Welt des Autors ins Wanken gebracht: Die Transalp könnte tatsächlich die bislang heißgeliebte XJ 600 S aus der Garage verdrängen.