aus bma 02/04

von Guntram Jordan

Honda XL 250 K3Für die vierzylindrige „CB 350 Four” warb Honda 1974 mit dem unvergesslichen und orthographisch falschen Werbespruch „Die Welt mit andern Augen sehen”. Beworben wurde mit diesem Marketingsatz eigenartigerweise ein Straßenmotorrad, das in das konventionelle Straßenmotorradschema „komplizierter, schneller, teurer…” passte. Dabei hätte dieses Motto wunderbar auf Hondas XL-Baureihe gemünzt werden können, die mit ihrer puristischen Einzylindrigkeit und ihrem breiten Einsatzspektrum reinen Straßenfahrern neue Horizonte eröffnen konnte. Zu diesem Zeitpunkt war der noch vor zehn Jahren totgesagte Motorradmarkt in Deutschland in einer zarten Blüte begriffen und Honda setzte sich mit einem lückenlosen Programm an die Spitze der neuerwachten Motorradszene in der Bundesrepublik.
Doch aus den USA schwappte nach den Straßenmotorrädern – die möglichst viele Zylinder haben muss-ten um „up to date” zu sein – der nächste Trend herüber, dem Honda zunächst hinterherhechelte. Nachdem in Amerika bei den langen Geländerennen in der Wüste Südkaliforniens, Texas oder Arizonas die europäischen Zweitakter von Greeves, Maico, Husqvarna oder Bultaco den schweren britischen Viertakttwins den Rang abgelaufen hatten, verfiel man bei Yamaha auf die Idee ein zweitaktendes Zwittermotorrad zu bauen, das sowohl bequeme Straßenmaschine als auch kompetente Geländemaschine für Hobbyfahrer sein sollte. Yamaha schuf mit dem Zweitaktsingle „DT-1”, die bald als „Enduro” (von „to endure = aushalten, überstehen”) Furore machen sollte, das richtige Motorrad zur richtigen Zeit. Genau wie Zelt-ausrüstungen, Kajaks, Campingkocher oder Wohnmobile fanden Motorräder vom Schlage der DT-1 um 1970 reißenden Absatz. Viele Amis wollten „Zurück zur Natur”, doch es blieb für die Mittelständler nur ein tageweiser Traum und eben ein Konsumtrip. Nachhaltig änderte sich nichts, nur dass plötzlich Leute stollenbereifte Maschinen kauften, die gar nicht daran dachten, damit am „Big Bear Run”, Nordamerikas größter Geländesportveranstaltung, teilzunehmen.
Die neue Fahrzeuggattung war mehr als ein optisches Bekenntnis wie bei den noch in den Sechzigern gebauten „Street-Scramblern” im Stil der Honda CL 250 und 450. Diese Maschinen unterschieden sich von ihren reinrassigen Straßengeschwistern meist nur durch hochgelegte Auspuffanlagen, Stollenreifen und Geländelenker.

 

Honda XL 250 K3Nach dem Erfolg, den Yamaha gehabt hatte, wurden auch die anderen japanischen Hersteller wach. Honda präsentierte 1972 das erste moderne Enduromotorrad mit ohc-Triebwerk. BSA hatte schon in den Sechzigern ähnliche Konzepte vorgestellt, jedoch fußte der ohv-Motor der 250er Victor noch auf der „BSA C 15” aus den späten fünfziger Jahren. Bei Honda ging man mit japanischer Gründlichkeit vor und konzipierte das Motorrad vollkommen neu. Herzstück der „SL 250” getauften Novität war der neue Single mit vier Ventilen unter dem Leichtmetallventildeckel. Die Honda-typische obenliegende Nockenwelle wurde per Kette angetrieben. Die Fahrleistungen waren genauso akzeptabel wie der Durchzug, wobei der größte Pluspunkt die Unempfindlichkeit des Triebwerks war, das im Vergleich zu den hochgezüchteten Zweitaktern europäischer Machart, geradezu narrensicher war. Der sonore Klang und der sparsame Umgang mit dem ab 1973 überraschend teuren Kraftstoff und die Einführung neuer Tempolimits in den USA und Europa ließen Hondas SL 250 als Motorrad der Stunde erscheinen. Einziges Manko des Triebwerks war die knapp bemessene Schwungmasse, die dafür sorgte, dass der Motor beim Langsamfahren in winkeligen Ecken plötzlich absterben konnte. Wer dann nicht schnell genug ein Stützbein setzen konnte, lag prompt unter der Maschine. Der Rest des Motorrades war – typisch Honda – routiniert komponiert und bot aufwändige Ausstattung in einem geländetauglichen Fahrgestell. Bei Instrumenten und Schaltern hatten die Europäer bislang immer nur „Mopedkram” verbaut, hier bot die Honda echten Luxus. Dafür war sie schwerer als die Europäer und hartem Geländebetrieb weniger gewachsen als die Raubeine aus Barcelona oder Pfäffingen. Die Hebeleien der Honda waren beispielsweise gegossen und brachen beim Sturz, während europäische Schmieden auch geschmiedete Hebel verbauten, die man richten konnte. Auch die „Eierbecher-Blinker” oder das starr montierte Rücklicht der Honda blieben schon mal als Brösel in der Kiesgrube zurück. Praktiker moserten über den Kettenschutz, fehlende Faltenbälge an den Stand-rohren und den komplizierten Radausbau. Doch die meisten Kunden hielten sich nicht mit derartigen Überlegungen auf und kauften die Honda bewusst als kultivierte Alternative zu den Mäh-Mäh-Zweitaktern. Übrigens bot Honda seinerzeit in den USA auch Zweitakter an. Diese MT-Modelle waren in erster Linie für reine Offroad-Einsätze gedacht!
SchutzblechverlängerungIn der Bundesrepublik, tauchte die SL 250, die seit 1973 XL 250 hieß, erst 1974 auf und nach einem enthusiastischen Test von Franz-Josef Schermer wurden die von Honda Deutschland georderten 300 Stück rasch verkauft. Auch 1975 war die XL 250, die den Namenszusatz K 0 erhielt, im Programm. Die Varianten K 1 und K 2 blieben wie auch die 1976 präsentierte XL 350 mit 27 PS den USA vorbehalten, während hierzulande die stark veränderte XL 250 K 3 ab 1976 Käufer fand. Hatte das Styling der K 0 schlank und sportlich gewirkt, besaß die K 3 mit ihrem eigenwilligen 9,5 Liter fassenden Tank, der vom deutschen TÜV erzwungenen Schutzblechverlängerung und dem tiefen Schutzblech an der Front den Charme der Harmlosigkeit. Auf der Habenseite standen neben dem nun drei Zoll breiten Vorderreifen eine verbesserte Füllung durch den nun mittig sitzenden Vergaser, mehr Fahrkomfort durch eine größere Sitzbank und bessere Schalldämpfung durch ein mehrteiliges Auspuffsystem. Das Plus an Ausstattung schlug sich im Kampfgewicht von 148 Kilogramm nieder. Ab 1977 gab es wegen der Versicherungsreform einen Drosselkit, der aus einer Reduzierhülse im Auspuffkrümmer bestand und die Leistung auf 17 PS stutzte. Die XL 250 K 4 – ab Modelljahrgang 1977 – unterschied sich von der K 3 nur durch einen andere Vergaser mit einer 120er- anstelle einer 115er-Hauptdüse!
In der Presse fand die modifizierte XL 250 wenig Beachtung. Ein Einzeltest fand sich in der Septemberausgabe von „PS” 1976. Das Fazit von Manfred John: „Ihrem Einsatzzweck entsprechend ist die Honda ein nettes Motorrad, mit dem es Spass macht über Stock und Stein, aber auch auf der Landstraße gemütlich dahinzufahren. Für die Freunde technischer Leckerbissen wird der Vierventil-Viertaktmotor bestimmt den positiven Kaufentscheid geben.” Für den Preis von 3818 DM erhielt der Käufer ein Motorrad ohne Schwächen, aber auch mit einem schwachen Drehmoment von 1,96 Meterkilopond bei 7200 U/min.
Praxisgerechte Ausstattung, ausgewogene Fahr- und Motoreigenschaften nebst einer grundsoliden Verarbeitung, die sogar die Filzringe zwischen Bremsnocken und Bremshebel nicht vergaß, ließen eher abgeklärte Naturen zur lahmen XL 250 K 3 greifen. Den großen Kick erhielt man weder in der Sandgrube noch auf der Straße. Dafür konnte man davon ausgehen, niemals mit abvibrierten Teilen, durchlöcherten Kolben oder ausgefallener Elektrik am Straßenrand stehen zu müssen. Dass die K 3 nicht so freudig begrüßt wurde und 1978 noch mittels einer Preisreduzierung abverkauft wurde, lag nicht an ihren Qualitäten, sondern dass ihr mit Yamahas XT 500 ein Gegner erwachsen war, dem sie nur Vernunftargumente entgegenhalten konnte. Und die zählen bekanntlich wenig in der Motorradwelt. Mit doppeltem Hubraum brauchte die XT keine Finessen um zur Legende zu werden, die durch ihre ruppigen Manieren noch vergrößert wurde.
Schon in den Achtzigern begann der Niedergang des deutschen XL-250 K-Bestandes. Als Studenten-, Anfänger- oder Zweitmotorrad für den Winter wurden fast alle XL aufgebraucht. Sparsame Besitzer und Ganzjahresbetrieb killten die sorgfältig gebaute Honda, die einen starken Feind hatte: Korrosion. Die Motorgehäusedeckel aus Magnesium verblühten zu weißem Staub, Streusalz fraß die leichtmetallenen Felgen und Gabelstandrohre. Der Auspuff war oft nach wenigen Jahren ein Fall für die Tonne. Eine K 3 mit ungeschweißtem Originalauspuff dürfte es nördlich der Alpen nicht mehr geben. Das Kondenswasser fand erst den Weg ins Freie, wenn ein Loch im Topf war! Kurzstrecken behagten auch dem kaltstartempfindlichen Zylinderkopf nicht. Die Gleitlagerung der Nockenwelle im Alu des Kopfes war ein teurer Reparaturfall, wenn es soweit war. Noch dazu fehlte der Konstruktion ein Ölfilter, so dass sich schlampige Wartung mit enormem Motorverschleiß rächte.
TrommelbremseKein Wunder, dass der Bestand immer noch kleiner wird, schon gerade weil die Honda nicht vom Legenden-Bonus zehrt, Manuel Wolf aus Goslar, Besitzer der raren roten K 3 (es gab auch gelbe!) fand die Maschine zufällig im Internet. Er besaß schon mal eine K 3 als Alltagskurzstreckenmaschine neben einer Yamaha XS 650. Der hastige Verkauf reute ihn bald und vor einigen Monaten spülte ihm das Glück des Surfers die gezeigte Honda auf den Hof. Das Motorrad tat von 1976 an Dienst bei einer Feuerwehreinheit in Bad Segeberg. Da Feuerwehrleute ihre Fahrzeuge gut pflegen hatte diese XL auch nicht den Schmerzensweg zwischen Elefantentreffen, Studentenwohnheim und Kiesgrube zu absolvieren und stand warm und trocken. Danach folgten zwei andere Besitzer. Eine Dame behielt die Honda nur zwei Wochen und bescherte in dieser Zeit dem wunderbaren Originaltank eine Beule auf der linken Seite. Ärgerlich!
Manuel Wolf weiß, dass Winterbetrieb für diese XL mit ihren 11.000 Kilometern Schönwetterlaufleistung nun tabu ist. Crosspistenbolzerei kommt auch nicht in Frage. Stattdessen genießt Wolf mit dezentem Viertaktgeblubber Motorradwandern im alten Stil.
So kann man sich selber mit XL an milden Sommerabenden als bescheidener Hedonist erleben. Zwischen wogenden Kornfeldern, schattigen Alleen und weiten Blicken in die Mittelgebirgslandschaft beginnt man die Welt mit anderen Augen zu sehen. Auch wenn es nur ein Tagtraum ist…

Technische Daten Honda XL 250 K 3 1976 bis 1978

Motor: Leistung 20 PS (15 kW) bei 7500 U/min, ab 1977 17 PS (13 kW) bei 7500 U/min. Maximales Drehmoment 19,5 Nm bei 6500 U/min. Fahrtwindgekühlter ohc-Single mit vier Ventilen pro Brennraum. Bohrung x Hub 74 x 57,8 mm, Hubraum 248 ccm, Verdichtung 9,1, Keihin 28 mm, Kontaktzündung über Schwunglichtmagnet, 6 Volt-Bordnetz

Kraftübertragung: Primärantrieb über schrägverzahnte Zahnräder, Mehrscheibenkupplung im Ölbad, klauengeschaltetes Fünfganggetriebe, Kupplung im Ölbad, Sekundärantrieb über Rollenkette

Fahrwerk: Einrohrrahmen mit geteiltem Unterzug und Stereoschwinge aus Stahlrohr mit zwei, in der Federbasis einstellbaren Federbeinen, Teleskopgabel, Federweg vorn/hinten 181/105 mm

Maße und Gewichte: Radstand 1400 mm, Nachlauf 140 mm, Nachlaufwinkel 59,5 Grad, Lenkerbreite 850 mm, Sitzhöhe 820 mm, Lenkerhöhe 1008 mm, Gewicht fahrfertig 140 kg, Tankinhalt 9 Liter

Messwerte: Höchstgeschwindigkeit solo 110 bis 120 km/h, Verbrauch 3 bis 5 Liter Normalbenzin auf 100 km, Reichweite 170 bis 280 km

Preis 1976: 3818 DM, 1977: 3710 DM; Preise heute zwischen 250 und 1800 Euro