aus bma 11/01
von Hartmuth Weyhe
Saale-Unstrut? Wo liegt denn das? Für diejenigen, die im Schulfach Landeskunde lieber mit der attraktiven Banknachbarin geflirtet haben, hier eine kurze Nachhilfe: Dieses zweitkleinste deutsche Weinanbaugebiet liegt im südlichsten Zipfel des Bundeslandes Sachsen-Anhalt, ganz grob zwischen Erfurt und Leipzig und wird von den Flüssen Saale und Unstrut durchzogen. Da wollten wir am 1. Oktober 2000 hin und am Tag der Deutschen Einheit wieder zurück, was uns etliche Lkw-Überholmanöver ersparen sollte.
Wir starteten bei Lüneburg auf 19 Harley-Davidsons und zwei BMWs (über irgend etwas musste die Mehrheit während der Tour ja lästern können). Zunächst ging es durch den Harz. Ein landschaftlich besonders reizvoller Abschnitt befand sich zwischen Hasselfelde und Stolberg. Hier war der Harz noch so, wie er im Kinderbilderbuch beschrieben wird: menschenleer, über den Tannenspitzen dunkel und verschwiegen, zuweilen sogar ein wenig unheimlich. Ohne 20 Scheinwerfer im Nacken hätte ich mich über kreuzende Zwerge oder vorbeiflatternde Elfen nicht gewundert. Ein sehr schönes Ziel ist das romantische Fachwerkstädtchen Stolberg, das noch die Zeiten alter Bergbautradition widerspiegelt. Parken ließ sich jedoch nur außerhalb des kleinen Ortes, so dass für einen Bummel zwei Stunden eingeplant werden sollten.
Die anspruchvollste Strecke lauerte auf der Bundesstraße (!) 85 nach dem Ortsausgang von Kelbra auf uns. Aus der Ebene der Goldenen Aue hinaus führte die kurvenreiche Strecke in das Kyffhäuser-Gebirge. Bevor wir die sagenumwobene Begräbnisstätte von Barbarossa erreichten, waren fünf Kilometer Schwerstarbeit zu verrichten. In vielen Kurven standen Biker und sahen wohl eher mitleidig auf die schwere Eisenkarawane aus Milwaukee herab. Hier lässt sich dem genussvollen Kurvenschwenken wirklich nur etwas mit einer Sportster abgewinnen, oder aber man gehört zur begeisterten Trittbrettschleiferfraktion wie unser Bäckermeister Hoffi, dessen Schleifspuren im Asphalt mit „Standing Ovations” gefeiert wurden. Hoffentlich bleibt uns durch die Vernunft unserer Zunft diese Strecke noch lange erhalten und teilt nicht das Schicksal „Zweiradverbot” vieler anderer reizvoller Straßen.
Von Bad Kösen an der Saale aus nahmen wir die letzten Kilometer zu unserem Ziel unter die Räder. Kurz darauf stand unser Fuhrpark im Hof des Hotels „Rittergut” zu Kreipitzsch, das einst auch im Besitz derer von Münchhausen gewesen ist. Nach einem kulinarischen Hochgenuss an unterschiedlichsten Abendspeisen wurde durch eine leibhaftige Weinprinzessin versucht, uns den lokalen Rebensaft schmackhaft zu machen. Widrige äußere Umstände und die über 450 Kilometer lange Anreise machten aus uns allerdings nicht das aufmerksamste Publikum. Die sehr trockenen und für unseren Gaumen „unfreundlichen” Weinsorten ließen die Masse von uns schnell zum gewohnten Hopfentrunk zurückkehren.
Am nächsten Morgen standen 150 Kilometer auf dem Routenplan. Das klang nach wenig, aber ein reichhaltiges Besichtigungsprogramm und der ausgesprochen schlechte Asphalt abseits der Bundesstraßen füllten den Tag bis zum Rand aus. Nachdem eine Electra Glide wegen schwächelnder Lichtmaschine angeschoben worden war, hielten wir auf die Dornburger Schlösser zu. Ein Spaziergang durch den hoch am Steilhang der Saale gelegenen Park vertrieb den Restalkohol und die Müdigkeit. Der Ort war so still, dass wir uns kaum trauten, laut zu sprechen. Nach dem Starten der Motoren waren derlei Gedanken natürlich hinfällig.
Gut 15 Prozent Gefälle führten steil zu Tal und kurz darauf folgte ein wunderschöner Streckenabschnitt nach Nerkewitz. Wald und Wiesen wechselten sich stimmungsvoll ab. Von anderen Verkehrsteilnehmern war weit und breit nichts zu sehen, so machte das Motorradwandern richtig Spaß und ließ auch die vielen Bodenwellen verzeihen.
Den nächsten Halt legten wir auf der Eckardsburg ein, die 998 von Ekkehard I erbaut worden ist. Zuvor hatten uns zahlreiche Hinweisschilder und Denkmäler an das Jahr 1806 erinnert, als hier zwischen Auerstädt und Jena moderne französische Truppen den antiquiert ausgerüsteten und geführten preußischen Truppen eine entscheidende Niederlage beigefügt hatten. Nach dem wir uns auf der Sommerrodelbahn genug Appetit geholt hatten, stärkten wir uns gleich bei Rostbrätl und Apfelstrudel im Burghof. Die Bedienung erfolgte stilecht in mittelalterlichen Kostümen.
Landschaftlich schön gestaltete sich auch die Fahrt von Bad Bibra nach Karsdorf. Ein Highlight der Etappe erwartete uns zwischen Gleina und Laucha. Urplötzlich stürzte sich hier die Straße zwischen den Weinbergen in mehreren Kehren zur Saale hinab und lief dann in einer kilometerlangen Geraden aus. Ein paar Kilometer folgten wir der Saale-Unstrut-Weinstraße, ehe wir über das Kopfsteinpflaster der Freyburger Altstadt donnerten. Unser Ziel war hier die Firma Rotkäppchen. Die größte deutsche Sektkellerei lernten wir bei einer ausgezeichneten Führung genauer kennen und waren nicht nur vom größten Cuvéefass der Welt beeindruckt. Zum Abschluss gab es natürlich ein Gläschen Sekt! Der Markenname stammt übrigens nicht vom gleichnamigen Märchen der Gebrüder Grimm, sondern vom roten Flaschenverschluss und musste für den 1894 aberkannten Namen „Monopol” herhalten.
Nach einer Rast auf dem restaurierten Marktplatz von Naumburg nahmen wir die kurze Schlussetappe unter die 42 Räder. Der Tag selbst war allerdings noch lange nicht zu Ende, denn vor uns lag noch das Ritteressen auf der Rudelsburg. Nach 1500 Meter zu Fuß bergab wurden wir durch das Burgtor in die Ritterklause geleitet. Kurz darauf empfing uns Burgvogt Andreas in einem mittelalterlichen Gewande und begleitete uns mit Erzählungen und Unterhaltung durch den zünftigen Abend.
110 Kilometer folgten wir am nächsten Tag der Bundesstraße 180. Sie führte durch interessante Städte wie Querfurt (große Burganlage), die Lutherstadt Eisleben oder Aschersleben. Am Ortsausgang der letztgenannten Stadt hatte die Straßenmeisterei noch ein besonders Schmankerl für uns eingebaut, denn die Umleitung über Königsaue und Winningen hatte es in sich. Ein Flickenteppich aus Asphalt, tiefsten Bodenwellen, Schlaglöchern und Kopfsteinpflaster im stetigen Wechsel forderte seinen Tribut. Der Topcase-Träger einer Electra Glide und der Zahnriemenschutz einer Low Rider mussten gerichtet werden (nun konnten Beate und Hermann auf ihren Bayern-Enduros über unsere Milwaukee-Eisen lästern).
Durch die Magdeburger Börde führte uns der Weg zur Landeshauptstadt von Sachsen-Anhalt, die wir auf der Autobahn umgingen. Auf der B 71 führte uns der Weg über lange, waldreiche Geraden durch die Colbitz-Letzlinger Heide zur Baumkuchenstadt Salzwedel.
Zum Ausklang rollten wir noch durch den Naturpark Elbufer-Drawehn, bevor wir uns in Lauenburg nach knapp 1000 Kilometer in alle Winde verstreuten.
—
Kommentare