aus bma 4/01

von Ralf Tausche

Endlich, die Sonne gewinnt ihren Kampf gegen die regenbeschwerten Wolken und lässt jede noch am Boden befindliche Feuchtigkeit in Dampf aufgehen. Jetzt schnell das Motorrad aus der Garage holen und auf die Autobahn Richtung Hamburg. Die Öltemperaturanzeige steht auf 80°C, zweiter Gang, der Drehzahlmesser verharrt bei 7000 U/min, Schulterblick nach hinten, alles frei! Ich geb‘ Gas, 11.000 U/min, Zeit zum Schalten. Stetig arbeite ich mich die Gänge rauf, im sechsten angekommen heißt es bremsen, ein roter Opel tuckert mit 180 km/h auf der linken Spur…
Harley Davidson SoftailNein, nartürlich sitze ich im Moment nicht auf einer Harley, sondern auf meiner Honda, und die Vorfreude darauf, so ein Urgestein der amerikanischen Motorradgeschichte ein ganzes Wochenende testen zu dürfen, lässt meine Gashand hektisch werden. Aber der rote Opel bestimmt jetzt das Tempo und ich komme gefährlich ins Träumen, wie ich mit der Harley dem Sonnenuntergang entgegen fahre.
Endlich angekommen, steht das Testobjekt auch schon bereit (vielen Dank an dieser Stelle nochmal an den Besitzer, der diesen Bericht erst möglich machte). „Erst mal probesitzen” denke ich, aber kaum dass ich aufsitzen will, kommt der Eigner putzlappenbeschwert angerannt: „Moment, Moment, so kannst du doch nicht fahren, die muss schon richtig blitzen”. Er meint zweifelsohne ein paar Flecken, die wahrscheinlich den Gesamteindruck der Maschine stören – akzeptiert!
Mit einem alkoholfreien Bier zur Beruhigung werde ich in die „Ecke” gestellt und schaue dem emsig putzenden Harleybesitzer zu. Dabei möchte man fast glauben, dass seine Augen beim Anblick seiner Maschine fast so funkeln wie der reichlich vorhandene Chrom. Muss schon wahre Liebe sein.
Ein Blick zu meiner CBR macht deutlich, wie unterschiedlich die Definition „Motorrad” ausfallen kann. Die Harley verteilt 1338 ccm auf zwei Zylinder in V-Form angeordnet, dabei sitzen beide Pleuel auf einem Kurbelwellenzapfen! Manch anderer Hersteller spendiert seinem „Vau” zwei Kurbelwellenzapfen, der Laufkultur zuliebe, aber ich will keine Namen nennen. 41 kW (entspricht 56 PS) werden bei 5000 U/min mobilisiert. Das Drehmoment beträgt 97 Nm bei einer Drehzahl von 2350 U/min und wird über einen Zahnriemen an das Hinterrad weitergegeben. Fünfmal muss geschaltet werden um schließlich seinem linken Fuss eine Erholung von der mächtigen Schaltwippe zu gönnen.

 

Harley Davidson SoftailAlles an diesem Motorrad wirkt groß und schwer und eine „Klopfprobe” an den Kotflügeln verrät die Verwendung von Stahl, so kommen dann fahrfertig über dreihundert Kilo zusammen. Wie sich ein Motorrad mit solch einem Gewicht wohl fährt? Gleich werde ich es wortwörtlich „erfahren” denn die Putzorgie hat endlich ein Ende.
Meine 175 cm nehmen Platz. Mann oder Frau sitzt recht tief, Sitzhöhe 673 mm, also sozusagen im Motorrad. Alle Bedienelemente sind gut zu erreichen. Die Sitzbankpolsterung fällt recht hart aus und ob nicht so gut gepolsterte Gesäße längere Touren aushalten, muss sich herausstellen.
„Wo ist der verflixte Choke”, denke ich. Normalerweise befindet er sich in der Tankmitte unterhalb des sehr übersichtlichen Tachos, aber da ist er nicht. Der Besitzer erkennt meinen suchenden Blick und weist auf einen unscheinbaren Chromhebel direkt am Vergaser. Aha, an der Stelle, wo serienmäßig ein Gleichdruckvergaser mit 40 mm Durchmesser – übrigens aus Japan – sitzt, befindet sich nun ein Flachstromvergaser mit Beschleunigerpumpe der Marke S&S. Also sind meine Daten hinsichtlich der Leistung wohl hinfällig. Wieviel PS nun wirklich vorhanden sind, könnte nur ein Leistungsprüfstand ermitteln, aber der spuckt auch nur nüchterne Zahlenwerte aus, die letztendlich nichts über das Gefühl aussagen, das man beim Fahren eines Motorrades empfindet.
Chokehebel in Startposition und den Anlasserknopf betätigt, dieser hat es hörbar schwer, die beiden Kolben 108 mm auf und ab zu bewegen. Aber das täuscht, er gewinnt seinen Kampf und erweckt den V-Twin zum Leben. Ein sonorer, voluminöser, weicher Sound entweicht der nicht serienmäßigen 2in1-Auspuffanlage. Der Klang der originalen Anlage soll laut Aussage des Besitzers nicht das Gelbe vom Ei gewesen sein, und zwei Dämpfer einer Maschine des US-Marktes waren einfach nur laut, was einen dann doch schnell die Aufmerksamkeit der Ordnungshüter gewinnen lässt.
„Klong” macht es. Spätestens jetzt hat selbst der übernächste Nachbar mitbekommen, dass der erste Gang eingelegt wurde. Die Kupplung verlangt nach einer kräftigen Hand, um den Akt der Trennung im separaten (also vom Motor getrennten) Getriebe zu vollrichten, und sie stellt ohne langen Weg eine kraftschlüssige Verbindung zwischen Motor und Getriebe her – Gewohnheitssache!
Langsam setze ich die Fuhre in Bewegung; im Rückspiegel sehe ich nach einigen Metern immer noch jemanden nervös seinen Putzlappen kneten… Keine Sorge, ich bringe dein Baby schon heil zurück!
Jetzt tuckere ich immer noch im ersten Gang herum, wie bedient man nun eigentlich eine Schaltwippe? Ganz einfach: mit der Fußspitze und mit dem Hacken, wie es eben die eigene Schuhgröße und Fußkraft zu-lässt. Schon nach einigen hundert Metern hat man diesen Bedienvorgang verinnerlicht.
Harley Davidson SoftailAußerdem merkt man schnell, dass, wenn über dreihundert Kilo Motorrad gewichtsmäßig gut verteilt sind, diese auch sehr gut – fast schon spielerisch – zu beherrschen sind. Der Schwerpunkt liegt sehr tief, was auch gerade den etwas unsichereren Naturen Vertrauen in Sachen Handling einflößt. Also keine Angst vor dem Gewicht, es gibt leichtere Motorräder, die sich aufgrund ihrer Gewichtsverteilung und auch Sitzposition schwieriger fahren lassen. Es sitzt sich also recht defensiv auf dem Motorrad, die Füße haben viel Platz auf den Trittbrettern und der Hintern wird stets – bedingt durch die straffe Federung und Sitzbank – über den aktuellen Zustand der Fahrbahn in Kenntnis gesetzt.
Um Funkenbildung zu vermeiden, sollten langezogene Kurven nicht zu forsch genommen werden, denn mit der Schräglagenfreiheit ist es nicht weit her. Für eine sportive Art der Fortbewegung ist dieses Motorrad eben nicht gebaut. Vielmehr bekommt die Definition für Geschwindigkeit eine neue Dimension. Die Fahrweise, die sich bei diesem Motorrad wie von selbst einstellt, entspricht eher einem „Gleiten” mit konstantem Tempo. Wilde Kurvenkombinationen, die man mit einem Sportler wie im Rausch durchfährt, mahnen zum Gaswegnehmen. Sinnigkeit ist gefordert. Und wenn man dann doch mal bremsen muss, sollte dies rechtzeitig geschehen, denn die Bremsleistung für ein Motorrad dieser Klasse kann nicht recht überzeugen. Vorne und hinten bemüht sich jeweils eine Bremsscheibe um Verzögerung; zwei vorne wären – wie bei anderen Harley-Modellen – technisch schon möglich, aber hier regierte anscheinend der Rotstift.
„Parkplatz hundert Meter” – ich folge dem Schild, auf einer Bank sitzend lege ich eine Pause ein. Die wohlig wärmende Sonne im Nacken spürend schaue ich mir den Motor an. Vier verchromte Stößelstangenhüllen blitzen mir entgegen, was auf eine untenliegene Nockenwelle hinweist. Lästiges Ventile einstellen fällt bedingt durch die Verwendung von Hydrostößeln übrigens weg.
Lange hält es mich jedoch nicht auf der Bank, und ich werfe den Motor wieder an. Während ich mir die Handschuhe überstülpe, schaue ich zu, wie sich Lenker und Nummernschild im Takt des Motorlaufs bewegen.
Inzwischen haben wir uns ganz gut aneinander gewöhnt, die Harley und ich, der Fahrstil wird immer flüssiger. Langsam bekomme ich auch heraus, welche Drehzahlregionen der Motor mag und welche nicht. Der mittlere Drehzahlbereich liegt ihm am besten, niedrige oder zu hohe Drehzahlen bestraft er mit üblen Geräuschen oder akuter Unlust. Und so sollte man auch vom reichlich vorhandenen Hubraum keine Wunder erwarten. Leistung ist zwar vorhanden, jedoch leider nur in einem relativ kleinen Drehzahlbereich, was zum häufigen Schalten zwingt. Im Großen und Ganzen liegen die Fahrleistungen der Heritage Softail auf dem Niveau einer gut gehenden 40 PS-Maschine japanischer Bauart, für einen Cruiser also mehr als ausreichend.
Mit gut 90 km/h durchfahre ich ein mir schon bekanntes Waldstück und entdecke bei diesem moderaten Tempo Dinge am Wegesrand, für die meine Augen, wenn ich auf meiner doch eher sportlichen CBR 1000 sitze, keine Zeit finden. Zum Beispiel dieser merkwürdig skurril gewachsene Baum da eben, schwupp da ist er auch schon weg. Bei dieser Geschwindigkeit fühlt sich der Motor spürbar wohl, Vibrationen werden nur ansatzweise empfunden und der Winddruck hält sich in Grenzen. So entspannend kann Motorradfahren sein… Die linke Hand lässig auf dem Oberschenkel ruhend und dem wubbernden Auspuffsound lauschend gleite ich dahin.
Und wie schlägt sich die Harley auf der Autobahn? Der Fahrzeugschein verpricht eine Höchstgeschwindigkeit von rund 150 km/h. Ich möchte dies aber nicht austesten, da der Motor bei hohen Drehzahlen den Massekräften der in ihm bewegten Teile schutzlos ausgeliefert ist. 120 km/h ist dann auch das Äußerste, was ich als angenehm empfinde. Geschwindigkeit ist eben nicht alles.
Nach einigen Stunden ausgiebiger Fahrt gönne ich mir in meinem Lieblings-Eiscafé einen riesigen Schoko-Eisbecher. Auch mein Hintern braucht jetzt eine Erholung von der harten Sitzbank. Und wie sieht es mit dem Hinguckfaktor meiner Begleiterin aus? Nun ja, auch eine Harley kann in heutigen Zeiten keinen Menschenauflauf mehr produzieren, wie es vielleicht zu Besatzungszeiten ein Jeep mit Kaugummi kauenden und Schokolade verteilenden Amerikanern getan hätte. Im Zuge des Motorradbooms gibt es eben viele Harleys – oder welche, die so aussehen. Und so relativiert sich das öffentliche Interesse an einer Sache, wenn es nicht mehr selten genug erscheint. Das ist auch ganz gut so, wer möchte denn immer bestaunt und beglotzt werden, wenn er seinem Hobby nachgeht. Ich jedenfalls nicht.
Aber es macht Spaß oder es ist wortwörtlich eine Erfahrung, mal ein Motorrad zu fahren, was gegensätzlicher als das eigene nicht sein kann. Etwas schwermütig bringe ich dann auch die Harley wieder nach Hause mit der aufmunternden Gewissheit, dass dort meine Honda auf mich wartet.
Dort angekommen, erwische ich jemanden der Probesitzend meine CBR inspiziert. „Na Kalle, gehst du jetzt auch fremd?” rufe ich dem doch überraschten Zeitgenossen zu. Und als dieser sich umdreht und seine Harley unversehrt sieht, fällt ihm fast hörbar ein dicker Stein vom Herzen. Ihr wisst ja, Motorräder verleiht man eigentlich nicht. „Tja”, sagt Kalle und tätschelt den Auspuff der Honda, „würde mich auch mal reizen”. „Tja”, entgegene ich, „soll kein Problem sein”. Grinsend über beide Ohren treffen sich unsere Blicke. Ja, der Virus Motorrad hat uns beide erwischt und man kann ihn meiner Meinung nach auf fast jedem Bike ausleben.
Fazit: Wenn meine Garage größer wäre, würden sich dort Enduro, Chopper, Sportler, Tourer, Oldie usw. tummeln, aber es doch eher das Geld, was solch einem schönen Gedanken Einhalt gebietet…