Eine Harley-Davidson kauft man sich vor allem aus einem Grund: weil man eine haben will. Da muss man sich schon etwas umstellen, wenn man von einem fahraktiveren Motorrad auf so ein Kulteisen umsteigt …
aus Kradblatt 6/16
von: Torsten Thimm
Harley-Davidson Softail Slim, Modell 2016
Eine Harley kauft man, weil man eine Harley haben will – nicht weil es auf dem Markt nicht bessere, schnellere oder komfortablere Motorräder gäbe. Diesem Motto folgend befreie ich Körper und Geist von Vorurteilen und fahre heute den American Way of Live.
Mattschwarz mit wenigen Chromtupfern an den richtigen Stellen steht sie, tief sonor aus ihrem klappengesteuerten Auspuff blubbernd, vor mir, während ich mich zur Testfahrt fertig mache. Stefan von Harley-Deutschland meinte bei der Abholung: „Lass sie ruhig etwas früher an, damit der Motor sein Öl aus dem Trockensumpf ansaugen kann.“
Gesagt, getan. Und auch wenn Slim auf deutsch schlank bedeutet ist diese Harley alles andere als das. Nein, vielmehr ist sie ein maskuliner, 321 kg schwerer Bobber, bestückt mit dem 45° 103B Twin Cam Motor. Dessen Ausgleichswelle hält die Vibrationen im Zaum und drückt mit 1670 ccm, 79 PS und 133 Nm ordentlich den Gummi der Reifen auf die Straße.
Die Silhouette der Maschine macht einen auf den ersten Blick glauben, dass es sich hier um einen Starrrahmen handelt. Erst bei näherem Hinsehen entdeckt man die in der Vorspannung einstellbaren Federbeine, gut versteckt unterm Getriebe. Vorne arbeitet eine nicht einstellbare 41er Telegabel, die gekapselt ausgeführt worden ist. Ihr schmuckes schwarzes Schild reflektiert, wie der große, ebenfalls schwarz glänzend lackierte und metallene Scheinwerfer der davor montiert ist, die Sonne. Ein weiterer glänzender Hingucker etwas tiefer am Krad, sind die verchromten Speichen der ansonsten schwarz gehaltenen Felgen.
Speichenfelgen mit den bobbertypischen dicken Reifen, hier in den Dimensionen 130/90H16 am Vorderrad und 140/85H16 am Hinterrad, sind ein bis heute typisches Erkennungsmerkmal dieser in den 1940er und 1950er Jahren erstmals erschienen Motorradspezies. Da diese Welle in Amerika ihren Ursprung hatte, waren die als „Bob Jobs“ bezeichneten Umbauten meist Harleys und Indians. Schon damals wollte man Gewicht reduzieren, um auf dem Dragstrip schnell zu sein und gut auszusehen. Man schraubte das vordere Schutzblech der Maschinen ab, drehte es um und baute es verkehrt herum hinten als Bob wieder dran, was dem Ganzen seinen Namen gab. Bei der Softail Slim hat man dies natürlich, alleine schon wegen der geltenden Straßenverkehrsordnung nicht so einfach machen können. Sie hat immer noch einen aus Metall gearbeiteten Frontfender, aber Milwaukee versteht es durch die gesamte Machart der Maschine, den Spirit in die Neuzeit zu tragen, wie keine andere Motorradmarke.
Hat man einmal Platz genommen sitzt es sich auf dem bequemen, nostalgisch anmutenden Singlesitz in 65 cm Höhe sehr angenehm. Die Füße finden schnell einen sicheren Stand auf den tief montierten Trittbrettern. Bobbertypisch bleibt die Sozia heute mal zu Hause, denn ein zweiter Sitz oder gar hintere Fußrasten fehlen. Bei einer möglichen Zuladung von 181 kg, wäre es jedoch kein Problem den Bobber umzubauen und zu zweit durch die Gegend zu cruisen.
Aber nun genug der reinen Theorie, mittlerweile sollte das Öl warm und an jeder Stelle des Motors angekommen sein. Spätestens jetzt, beim Ziehen der seilzugbetätigten Kupplung, macht das Machobike seinem Namen alle Ehre, denn hier ist Handkraft gefragt. Umso mehr, da der Kupplungshebel nicht einstellbar ist und weit vorne steht. Es ist also nicht gerade von Vorteil, wenn man wie ich im mittäglichen Stop-and-go-Verkehr steht und die Finger kurz sind, denn dann tut’s mit der Zeit im Unterarm weh. Gespiegelt auf die andere Seite des hier montierten Hollywood Lenkers gilt beim Bremshebel das Gleiche. Auch er steht weit vorne und wirkt beim ziehen hart.
Was beim Fahren sehr schnell auffällt ist, dass das Schalten bei Harley keine Schande und auch kein Geheimnis zu sein scheint. Durch den Stadtverkehr geht es im 2., 3., maximal 4. Gang, wobei sich das Getriebe per Schaltwippe stets sauber aber mit Härte und deutlich hörbar schalten lässt.
Vorbei an den Schaufenstern fällt mir die coole und entspannte Sitzposition auf der Maschine, in meinem Spiegelbild auf. Das hat schon was und der eine oder andere Passant schaut sich die Maschine beim Vorbeirollen an. Noch zwei Ampeln denke ich bei mir, dann hab ich es endlich geschafft. Der Trubel wird weniger und das Ortsschild verschwindet endlich im Rückspiegel.
Eine freie Landstraße liegt vor mir. Zeit, die Gashand am recht wackelig montierten E-Gasgriff mal etwas mehr aufzuspannen und dem V2 unter der wärmenden Frühlingssonne die Sporen zu geben. Dass das bei diesem Flacheisen keine gute Idee ist, zeigt sich schon kurze Zeit später im ersten Kurvengeläuf. Die Federwege sind mit vorne 130 mm und hinten 86 mm natürlich bauartbedingt nicht besonders üppig, wie man sich vorstellen kann. Trotzdem macht das Fahrwerk einen straffen, guten Eindruck und schickt nur wenige Schläge an den Fahrer durch. Länge läuft bekanntlich und davon hat die Softail genug. Ihre Achillesferse sind ihre Trittbretter, denn die liegen tief, ja man könnte sagen einfach viel zu tief und setzten Hilfe schreiend bei jeder noch so schön außen angefahrenen Kurve auf. Da wird ordentlich Material abgetragen, auch wenn sich die Gashand mittlerweile wieder entspannt hat. Ja diese Dinger sind wirklich bequem zum Abstellen der Füße, können einem aber während der Kurvenfahrt schon ordentlich die Linie und innere Ruhe verhageln.
Sei’s drum, beim Bremsen in der Kurve gibt es wenig zu meckern, die Fuhre bleibt stabil und zeigt nur wenig Aufstellmoment. Und wer gut beschleunigt, der sollte selbstverständlich auch gut bremsen können. Bei dieser Harley sind dafür jeweils eine Bremsscheibe am Vorder- und eine am Hinterrad, kombiniert mit einem gut arbeitenden ABS montiert. Für das favorisierte Cruisen reicht das aus und passt natürlich zum Gedanken der Gewichtsreduzierung eines Bobbers. Eine zweite Scheibe am Vorderrad, würde der Optik aber nicht schaden und die Bremsleistung, bei der bewegten Masse, sicherlich verbessern. Gerade auch dann, wenn es mal nicht nur geradeaus, sondern in die Berge geht.
Gemütliches Dahingleiten ist also für heute angesagt, den Klang und Druck des Motors von unten heraus genießen und den amerikanischen Spirit fühlen. Ja, auch wenn es mir schwer fällt, so klappt es am besten. In diesem Modus kann man außerdem ordentlich Kilometer machen, denn der 19 Liter fassende Tank ist für gut und gerne 300 km Reichweite gut. Der Verbrauch pendelte sich bei dieser favorisierten Fahrweise bei 5–5,5 Litern ein.
Bei diesem Tempo lässt sich die, aus dem Winterschlaf erwachende, Natur rechts und links neben der Straße richtig genießen. Man hat Zeit auf Kleinigkeiten wie z.B. die Reflektionen der Wolken und der Sonne am Himmel im glänzenden, Scheinwerfergehäuse vor sich zu achten. In der Cat Eye Konsole, so nennt Harley das auf dem Tank montierte Singleinstrument, dessen Anmutung eine Hommage an eine längst vergangene Zeit darstellt, spiegelt sich das Ganze ebenfalls. Hier dreht zum Glück noch ein echter Zeiger seine Runden im Gehäuse, ein Mickey Maus Kino gibt es nicht. Der Tacho ist selbst bei der jetzt hochstehenden Sonne gut ablesbar. Erst auf den zweiten Blick fallen seine vielfältigen Funktionen, in Form von Kontrolllämpchen, oder im kleinen digitalen Display auf. Dieses wird über einen Taster von der linken Lenkerarmatur aus gesteuert. Es bietet unter anderem: 2 Tripzähler, die Uhrzeit, einen Drehzahlmesser gekoppelt mit einer Ganganzeige, die Restreichweite, sowie natürlich die Gesamtkilometer an und bleibt erfreulicherweise nach dem Neustart im davor zuletzt gewählten Modus. Zusammen mit den auf der Konsole und im Tachofeld verteilten Kontrollleuchten ergibt sich eine sehr gute Übersicht, über die Lebensäußerungen der Maschine. Da Nostalgie bei diesem Modell eine große Rolle spielt, hat man zusätzlich zur kleinen Zapfsäule im Tacho eine zweite analoge Tankanzeige, in der linken Tankdeckelattrappe installiert. In ähnlicher Form gilt dies auch für die Ganganzeige. Hier findet sich neben dem Zeiger noch einmal ein Lämpchen, welches den Fahrer darüber informiert, dass er nun mit dem 6. Gang das Ende des Getriebes erreicht hat. Apropos Tankdeckel, dieser ist leider nur gegen Aufpreis abschließbar.
Auffallend charmant dagegen und eben harleytypisch schwarz gehalten, fallen die gut funktionierenden Drucktaster der Lenkerarmaturen auf. Als BMW-Fahrer habe ich mich sowieso schnell an die Fortschrittsblinkerbetätigung (Schalter links für den linken Blinker und Schalter rechts für rechten Blinker) gewöhnt, da es zum Glück bei meiner R 1200 R auch noch so funktioniert. Schön, dass Harley seinem Stil treu bleibt und daran festhält. BMW hat es ja aus Kostengründen vor ein paar Jahren gegen eine Standardausführung getauscht. Weiteres nettes Feature der Harley ist, dass die Blinker sich nach dem Abbiegevorgang selbstständig wieder abschalten.
Lichttechnisch geht Harley mit der Slim am Heck den modernen LED-Weg, während an der Front gewöhnliche Birnen gut ihren Dienst tun. Wem das trotzdem nicht reicht dem bieten der Zubehörmarkt, aber auch Harley selbst, alternative LED Lösungen an. Der Fahr-Tag neigt sich langsam seinem Ende zu und die letzten Kurven und blühenden Rapsfelder ziehen an uns vorbei. Wie also fällt nun das Fazit aus?
Für mich ist die Softail Slim wertig und gut verarbeitet. Sie hat, im positiven Sinn gesprochen, einen rustikalen Touch von amerikanischem Maschinenbau mit netten Überraschungen. Wer sonst hat noch einen altgedienten Schmiernippel für eine Fettpresse am Steuerrohr um die Lager schmieren zu können? Möchte man trotzdem etwas meckern, so könnte man das, wie oben schon erwähnt, beim wackeligen Griff des E-Gases, dem auf den ersten Blick ebenfalls wackeligen und nicht gerade vertrauenerweckenden Seitenständer und den recht offen, im Spritzwasser des Vorderrades liegenden Bauteilen des Advance Breaking System und ihrer Steckverbindung tun. Und ja, die Trittbretter, die liegen einfach zu tief. Aber auch hier hat der Aftermarket mittlerweile eine Höherlegung im Sortiment, welche mehr Kurvenfreiheit schafft.
Starten kann man mit dem von mir gefahrenen Modell ab 19765 Euro. Für den, der mehr will gibt es natürlich in Form der Softail Slim S von allem noch einmal mehr. Bedeutet 1801 ccm, 110B Screaming Eagle Motor mit 92 PS und 145 Nm Drehmoment. Mehr Ausstattung wie z.B. einen Tempomat und eine überaus schicke Armylackierung mit Stern auf dem Tank. Der Preis hierfür liegt um 1100 Euro über der von mir gefahrenen Standard Variante, bei 20865 Euro. Das Bankkonto sollte also üppig gedeckt sein, denn es gibt für Geld noch viele schicke zusätzliche Teile für die Maschine und den Fahrer zu kaufen. Ob einem die Schwester S bei den gebotenen Eckdaten den höheren Preis wert ist, muss jeder selber entscheiden. Ich für meinen Teil würde es wahrscheinlich alleine schon wegen der Lackierung und wegen des stärkeren Motors investieren. Beiden gemein sind die tiefen Trittbretter …
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Kommentare
2 Kommentare zu “Harley-Davidson Softail Slim Modell 2016”
Danke für die echt gute Aufliestung der Punkte. Das hat mich jetz definitiv motiviert das ich die Trittbretter durch vorverlegte Pedalen ersetzen werde! Hat mich schon am ersten Kreisel generft und erschrocken. Ansonsten ist sie toll und wendig zu fahren.. Ich habe übrigend das Model mit dem 1802 Motor der mächtig Dampf hat und und freude bereitet.. Grüsse Marcel
…eine echt bärige Beig!