aus bma 04/08

von Jens Rademaker

Harley-Davidson FLHTCU Ultra Classic Electra Glide Was sich ein Fahrer einer Ultra Classic Electra Glide niemals anhören muss, sind die Worte, die viele Leute für ein ebenso wuchtiges Modell von Honda parat haben: Fahrende Schrankwand, Einbauküche oder Omnibus. Es ist eine Harley-Davidson, und damit spielt man in einer anderen Liga. Zwar ist die Honda teurer, aber die Harley erscheint den meisten exklusiver (Nein nein, dies wird kein Vergleich zwischen Goldwing und E-Glide…, Äpfel und Birnen, ich weiß. Das Erscheinungsbild lässt mich diesen Vergleich nun einmal ziehen). Also woher holen, fragt sich der Redakteur? Die Antwort: Vom Harley-Davidson Vertragshändler in der Nachbarschaft, und siehe da, es klappt.
Der erste Eindruck dieser „Wuchtbrumme” ist auf jeden Fall erfurchtgebietend. 395 Kilo bringt das gute Stück fahrfertig auf die Waage, und auf meine Frage nach einem Rückwärtsgang als Rangierhilfe gibt es nur ein Lächeln und ein leichtes Kopfschütteln, na bravo. Die überaus üppige Verkleidung mit der niedrigen Scheibe verspricht allerdings enorm guten Windschutz. Oberkörper, Arme und Beine verschwinden hinter den Anbauten. Doch was passiert im Hochsommer bei 30 Grad und mehr? Hier gibt es als Gimmick an der Ultra Classic bewegliche Verkleidungselemente, damit Fahrtwind ungehindert an den Piloten gelangen kann. Dass der Fahrer dieser unmodifizierten Harley-Davidson einen Sitzplatz aus der ersten Klasse hat, ist ja schon bekannt (Das heimische Sofa rangiert dazu im Vergleich eher in der Tourist Class), aber der Platz für den Sozius übertrifft alles: Rückenlehne und kleine Armlehnen zieren diesen Platz, und nicht nur bequem sitzen darf der Sozius hier, er darf selber bestimmen, in welcher Lautstärke er/sie mit der eingelegten Musik berieselt werden will, bzw. welches Musikstück der CD nun dran ist. Und die Musik gehört für mich auf jeden Fall zu der Fahrt dazu. Für die Testtage gab es da eine ausgesuchte Mischung von AC~DC (quer durch alle Alben) für die Landstraße und als Stadt-Schmankerl was hübsch neueres von Lordi, Manowar, Metallica und Disturbed… eine Wonne.

 

Harley-Davidson FLHTCU Ultra Classic Electra Glide Doch zurück zum ersten Eindruck. Die ausladenden Koffer links und rechts (nicht unbedingt Stau-durchfahr-tauglich) und das voluminöse Topcase zeichnen die Electra Glide aus, und unterscheiden sie von den anderen Modellen aus Milwaukee. Die glänzende Screaming Eagle Anlage verläuft beidseitig unter den Koffern. Beim Aufsitzen fällt der erstaunte Blick auf das Flugzeugcockpit hinter dem Windwall. Schalter, Knöpfe und Tasten für alle möglichen Funktionen warten hier darauf genutzt zu werden. So zum Beispiel die Einstellung für die Lautsprecher (Aus; nur vorn; alles an!), der Schalter für die Zusatzscheinwerfer, Tempomat-Bedienung (ja,ja!) und nicht zu vergessen das CD-Radio (mit Navigation, wenn es erwünscht wird). Den dicken Hauptknopf kennen wir ja schon von anderen Modellen. Neu bei dieser Maschine (zumindest mir): Man kann nicht mehr an der abgestellten Harley den Knopf auf Zündung stellen und sie dann anlassen, während der Fahrer gemütlich im Eiscafe seine Kugeln schlabbert, nur um ihm zu zeigen, dass er vergessen hat das Schloss zu verriegeln (sollte man aber nur in Erwägung ziehen, wenn man ohnehin nicht sehr an seiner körperlichen Unversehrtheit hängt, oder wenn man ein enorm guter Sprinter ist), Nein geht nicht, denn am Schlüsselbund des Fahrers hängt eine Fernbedienung, der die Wegfahrsperre und die Alarmanlage aktiviert und somit die Elektronik lahm legt, wenn sich der Reiter von seinem Ross entfernt. Für das Modelljahr 2008 verpasste man dem Harley Schlachtschiff auch gleich einen größeren Tank (jetzt 22,7 Liter). Und wer den Gaszug sucht, der findet ihn nicht, denn das neue ETC (Electronic Throttle Control) übermittelt die Stellung des Gasgriffs elektronisch, wie ja der Name schon sagt, an die ebenfalls elektronische Einspritzanlage.
Harley-Davidson FLHTCU Ultra Classic Electra Glide Aber das wirklich Neue an der Ultra Classic aus dem Modelljahr 2008 ist die Ausstattung mit ABS. Ersichtlich ist diese Neuerung nur bei genauerer Betrachtung, denn dann sieht man das Kabel, das zur vorderen Achse führt, in welcher sich der Sensor versteckt. Dieses ABS greift dann, wenn es gebraucht wird, präzise zu. Die Bremsanlage wartet mit 300 mm durchmessenden Bremsscheiben auf, die von der Vierkolben-Festsattel-Anlagen von Brembo in die Mangel genommen werden. Reicht auf jeden Fall immer und überall, um das wuchtige Eisen zum stehen zu bringen.
Also los geht’s. Ich stell mich schon mal darauf ein, dass der neue Motor ohne Vibrationen startet und der Auspuffanlage nur ein zaghaftes Säuseln entweicht. Aber siehe da! Das Aggregat erwacht lautstark zum Leben, die Lenkerenden und der Scheinwerfer bestätigen wild wippend, dass es gleich losgehen kann, und aus den zwei Rohren rappelt es angenehm tief. Ja, so muss das klingen! Als Motor dient in der Ultra Classic Electra Glide der Twin Cam 96 mit 1584 ccm, hier in der Version OHNE Ausgleichswellen (ich sag mal YES!). Mag zwar gerade für einen Tourer ungewöhnlich sein, aber wir freuen uns darüber. Das Aggregat bringt 82 PS bei 5200 U/min. Das maximale Drehmoment von 129 Nm verspricht zwar keine Wunder, sollte aber allemal ausreichen.
Mit lautem „Klong” rastet der erste Gang ein, und ab geht es zur Testfahrt. Auf den meist geraden Strecken unserer Gefilde fühlt sich das Traumschiff E-Glide richtig wohl. Tempo 100 und gemütliches schwänzeln, wenn denn doch mal eine Kurve kommt, eben cruisen. Gibt man dem guten Stück dann doch mal die geschliffenen Sporen, sollte man sich auf viel Arbeit gefasst machen. Um richtig Flott durch die Prärie zu bügeln, verlangt die Ultra Classic eine starke Hand und viel Körpereinsatz. Will der Captain die Trittbretter in schnellen Kurven auf den Asphalt drücken, muss er seinen Oberkörper verlagern und energisch drücken, dann klappt das. Verlangt man diesem Baby allerdings zuviel ab, bedankt sie sich umgehend mit Schwanken in der Schräglage. Diese Gangart ist aber auch eher artfremd.
Lieber genüsslich durch die Gegend scheppern und alles genießen, was wichtig ist.Harley-Davidson FLHTCU Ultra Classic Electra Glide Die E-Glide rockt einfach. Kein zappeliges hin und her Gewusel mit Verrenkung der Arme und Beine, wie in der Techno-Disco, sondern harter fordernder Rock, dass trifft es am Besten (Also nix Scooter, sondern Motörhead).
Der Motor leistet aus dem Drehzahlkeller wunderbaren Druck, den er allerdings im höheren Drehzahlbereich wieder einbüßt. Das einzig echte Manko zeigte sich bei der Autobahnetappe: Ab Tempo 150 wird die ganze Fuhre recht unruhig. Der Fahrer hat hier mit Verwindungen der Maschine zu tun, die zwar beherrschbar sind, das Wohlgefühl aber doch schon trüben. Die auftretenden Verwirbelungen hinter dem Windschild sind mit Integralhelm dann erst richtig wild. Also runter mit dem Tempo (ist ja eh besser für die Umwelt) und die Halbschale wieder auf (ist ja eh besser fürs Feeling), und schon geht es besser.
Eine Sache beweist aber, dass es sich hierbei um einen echten Tourer handelt: Die Verstaumöglichkeiten. Ausreichend Platz im Topcase (Sporttasche mit Regenkombi, Ersatzhelm und Handschuhe, zwei Baseball Caps und die kleine Fotoausrüstung), und natürlich in den Koffern (Rucksack mit großer Fotoausrüstung des Kollegen, und auf der anderen Seite ein paar Reserve-Hefte und noch viel Platz). Dazu kommen noch die kleinen Fächer in den Beinschilden (in unserem Fall für Sonnenbrille, Putzzeug und Ersatzhalstücher). Am Tank und am Soziusplatz findet man noch die Steckdosen für die praktische Bordsprechanlage (wer braucht die, wenn Musik und Sound stimmen?).
Wer nun auf den Geschmack gekommen ist, der sollte sich eine Probefahrt gönnen, und mindestens läppische 25.655 Euro schon mal bereithalten, denn das WILL-ICH-HABEN Gefühl stellt sich schneller ein, als man denkt.