aus bma 06/05

von Jochen Müller

Gruppenreise Korsika An einem frühen Morgen im Juni 2003 treffe ich mich mit 28 Bikern und Bikerinnen vor einer Tankstelle in Chemnitz. Sie kommen aus Sachsen und Thüringen und haben alle das gleiche Ziel: Korsika.
Pfarrer Roberto aus Marienberg hatte die tolle Idee zu dieser gemeinsamen Reise; er hat die Route geplant und sämtliche organisatorischen Vorbereitungen getroffen.
Aber werden diese völlig unbekannten Biker und Bikerinnen sich verstehen, werden die Maschinen durchhalten, und wird es der „Wettergott” gut mit uns meinen?
Nach einer kurzen Begrüßung nehmen wir die erste Etappe in Angriff. Wir müssen so viele Kilometer wie nur möglich schaffen, um am nächsten Tag ohne Hektik die Fähre in Livorno (Italien) zu erreichen.
Hinter dem ersten Begleitfahrzeug fahren die Chopper und geben das Tempo vor. Auch die Tankstops werden vom Tankinhalt der Chopper bestimmt. Während der Fahrt begleitet uns die Sonne über Hof, München, Innsbruck bis zum Brenner. Dort ändert sich plötzlich das Wetter, und wir müssen doch unsere Regenkombis überziehen. Sofort ist ein Sicherungsfahrzeug der Brennerautobahn zur Stelle und sperrt eine Fahrbahn für uns, so daß wir uns ungefährdet gegen den Regen ausrüsten können. Über Bozen, am Gar-dasee vorbei, gelangen wir am Abend nach Modena.
Wir beschließen den nächsten Campingplatz zu suchen. Es ist inzwischen 21.30 Uhr, und wir sind müde. Immerhin haben wir heute ca. 1000 km geschafft. Endlich haben wir einen Platz gefunden, doch zum Zeltaufbau hat keiner Lust. Wir schlafen unter freiem Himmel, nur auf der Luftmatratze, mit Blick in die Sterne.

 

Mit den ersten Sonnenstrahlen beginnen die Schlafsäcke zu leben. Überall kriechen schlaftrunkene Biker hervor. Nach dem Frühstück geht es weiter. Noch ein Tankstop und dann auf die Fähre.
Die Maschinen werden mit Seilen befestigt. Das erinnert ein wenig an Viehtransporte. Die Überfahrt von Livorno nach Bastia dauert vier Stunden. Liegestühle sind genügend vorhanden, die Sonne scheint und irgendwann kommt die Müdigkeit. Als wir aufwachen liegt die kleine Hafenstadt Bastia vor uns, und es heißt wieder „satteln”.
Runter von der Fähre, durch Bastia hindurch und ab in die Berge. Schon jetzt zeigt sich Korsika in voller Schönheit.
Die Straßen sind so genial für Biker, da kann der Hintern noch so schmerzen, man wünscht sich trotzdem, daß sie niemals enden. Unterwegs sehen wir einen Waldbrand. Zwei Löschflugzeuge versuchen den Brand zu bekämpfen. Wie Kamikazepiloten stürzen sie sich auf das Feuer, um ihr Löschmittel abzuwerfen. Es ist sehr eindrucksvoll, diesen Kampf gegen die Flammen zu beobachten.
Gruppenreise Korsika Über San Florent gelangen wir kurz nach 20.00 Uhr an unser Ziel, einen Campingplatz nahe Calvi. Gemeinsam bauen wir die Zelte auf und dann gibt es endlich Abendbrot. Als krönenden Abschluß gehen wir um 22.30 Uhr noch im Meer baden.
Heute beginnt der Tag etwas ruhiger. Nach dem gemeinsamen Frühstück gibt es eine Vorstellungsrunde, denn man will ja schließlich wissen, mit wem man es zu tun hat. Ich denke, die 1400 zurückgelegten Straßenkilometer haben uns schon ein wenig zusammengeschweißt, und so fällt es uns leicht aufeinander zuzugehen. Anschließend gehen wir baden und nach der Mammuttour der beide Vortage tut es gut, die Maschinen stehen zu lassen.
Damit wir auch etwas über Korsika erfahren, hat Pfarrer Roberto ein Quiz über Korsika vorbereitet. Wir haben viel Spaß dabei und dem Sieger winkt ein Eis. Wir sitzen noch lange nach Mitternacht vor den Zelten, unterhalten uns und genießen die herrlich laue Sommernacht.
Am nächsten Morgen, nach einer Abkühlung im Meer, fahren wir nach San Michele zur schönsten Kirche Korsika’s. Es geht weg von der Küste ins Hinterland. Wunderbare Landschaften und herrliche Bergstraßen warten dort auf uns. Die Straßen sind eng, aber gut ausgebaut und wenig befahren. Nach jeder unübersichtlichen Kurve muß man mit Überraschungen rechnen, denn Kühe, Schweine und Schafe laufen auf Korsika frei herum. In 554 m Höhe haben wir unser Ziel erreicht und bewundern dieses seltene Bauwerk. Man könnte meinen, daß diese Kirche aus einem Puzzle oder Mosaik zusammengesetzt ist. Ein Gruppenfoto vor der Kirche muß natürlich auch noch sein. Hi-Tec-Maschinen vor historischem Rahmen. In Lederkombis gepresste Biker, dort wo einst arme Bergbauern zum Gottesdienst kamen. Immer wieder treffen wir auf Franzosen, die sich freuen uns zu sehen und winken. Erstaunlich für uns, denn wir haben schon andere Geschichten über die Gastfreundlichkeit der Franzosen gehört. Der Tag klingt aus mit Spielen und Gesprächen am Strand.
Am nächsten Vormittag kann jeder auf seine Art die Insel erkunden. Die Chopperfraktion hat sich San Antonio als Ziel ausgesucht. Ein kleines Dörfchen, ganz oben auf einem Berggipfel, mit vielen kleinen und engen Gässchen, welche man „leider” nur zu Fuß erkunden kann. Der Weg dahin ist wieder eine Freude für uns Biker. Wir fahren durch andere kleine Bergdörfer, in denen die Einheimischen auf der Straße sitzen, ihren Kaffee oder Wein trinken und sich unterhalten, als wäre die Straße eine Fußgängerzone. Vermutlich kommt dort den ganzen Tag kein Fahrzeug vorbei. Wir sehen in erstaunte Gesichter, denn eine solche Menge Bikes sieht man da bestimmt nicht jeden Tag. Auf dem Rückweg möchte ich mich immer wieder umdrehen, um zu sehen, wie sich die Maschinen an den Berg-straßen entlang winden. Es ist einfach schön, gemeinsam zu fahren.
Abends sitzen wir mit Fackeln und Rotwein am Strand. Wir freuen uns auf den nächsten Tag, an dem wir mit dem Zug quer über die Insel nach Ajaccio fahren wollen.
Gruppenreise Korsika Ajaccio ist die Hauptsadt von Korsika. Es ist wie ein Abenteuer und erinnert uns an Zugfahrten in Columbien. Viel Komfort gibt es in dem kleinen Triebwagen nicht, auch keine Klimaanlage, und das bei 34 Grad im Schatten. Die Schienen müssen noch aus der Zeit Napoleon’s sein. Der Zug schaukelt wie in Schiff, und die Stöße der Schienen erinnern ans Reiten auf einem Pferd. Mehrmals muß der Zug halten, weil Ziegen oder Kühe auf den Schienen stehen. Die Berge sind dort bis ca. 2600 m hoch. Der Zug fährt ganz oben unter den Berggipfeln entlang. Das Panorama, welches wir hier zu sehen bekommen, hätten wir mit dem Krad sicher versäumt. Es scheint so, als ob die Natur dort noch unberührt ist. Und wieder hält der Zug auf freier Strecke, um Wanderer aussteigen zu lassen. In Korsika ist eben alles etwas anders. In glühender Mittagshitze hält der Zug in Ajaccio.
Natürlich wird hier überall auf Napoleon hingewiesen, der hier am 15. August 1769 geboren wurde. Wir bummeln durch die Straßen, schlendern über die Märkte und besuchen das kleine A-Bandera-Museum, um etwas mehr über Korsika zu erfahren. Die Zeit ist leider viel zu kurz, um die Kirchen, die Kathedrale, die kaiserliche Kapelle und die weiteren geschichtsträchtigen Sehenswürdigkeiten der Inselhauptstadt zu besichtigen. Schade, aber vielleicht gibt es ein „nächstes Mal“ für uns.
Am nächsten Morgen gehen wir gemeinsam zu einem deutschsprachigen Gottesdienst nach Calvi. Erstaunlich ist die Lockerheit, mit der es hier zugeht. Der Pfarrer führt sogar Zauberkunststücke vor, um die Kinder zu belustigen. Auch hier sind wir wie Außerirdische, und es bildet sich eine Menschentraube um unsere Maschinen, als wir starten.
Wir machen eine kleine Tour (ca. 150 km) an der Westküste entlang bis nach Porto. Die Küstenstraße ist einfach traumhaft. Links eine Felswand und rechts ein kleine Felsmauer (ca. 20 cm hoch) und dahinter der Abgrund. Steil geht es hinab bis zum Meer. Wir fahren quer durch das Hinterland nach Corte. Auch hier faszinieren uns die Berge (über 2000 m hoch) mit ihren steilen Wänden. Es sieht aus wie eine Filmkulisse aus Styropor, die man mit einem kleinen Schubs um-werfen könnte. Und dann diese Straße entlang der Berge – man ist einfach nur sprachlos und versucht, diese Eindrücke zu verarbeiten. Plötzlich kommen wir an einen Wildbach mit großen Steinen und zwei Bogenbrücken. Es ist wie im Märchen und eine willkommene Einladung zu einer Abkühlung im klaren Wasser.
Auf der Weiterfahrt kommen wir am Stausee nahe Calacuccia vorbei, und es wird noch romantischer. Riesige Schluchten und wieder steile Felswände, an denen die Straße entlang führt. Diese Straßenbauer müssen wahre Meister gewesen sein.
Am nächsten Morgen, nach dem gemeinsamen Frühstück, heißt es wieder „satteln“. Wir fahren quer über die Insel, durch Bastia und dann an der Ostküste hoch bis zum nördlichsten Punkt Korsika’s, dem Cap Corse.
Heute müssen wir leider feststellen, daß nicht alle Franzosen freundlich zu Deutschen sind. Es ist uns nicht gelungen, in einem kleinen Restaurant etwas Eßbares zu bekommen.
Es ist auf Korsika sicherlich nicht alltäglich auf eine Gruppe von 24 Motorrädern zu treffen. Immer wieder begegnen wir PKW-Fahrern, die einfach rechts ranfahren und uns vorbei lassen. Es ist einfach ein geiles Gefühl, dieser Gruppe anzugehören.
Auf dem Rückweg lösen wir die Kolonne auf. Jeder kann so fahren, wie er will. Endlich können die „Heizer“ es mal so richtig krachen lassen und sich mit mehr als 50 km/h in die herrlichen Kurven legen.
Gruppenreise Korsika Der letzte Tag auf Korsika beginnt. Es liegen zwei sehr anstrengende Tage und ca. 1400 km vor uns. Heute unternehmen wir nur noch ganz kleine Touren oder baden nochmals im Meer. Einige nutzen die Gelegenheit und fahren zu einem Fotostop an die Westküste nahe Calvi. Dort weht der Wind so stark, daß man diese Fahrt leider nicht genießen kann. Es ist eher ein Kampf auf dem Bike zu bleiben.
Abschiedsstimmung. Am nächsten Tag müssen wir schon sehr früh raus. Wir packen die persönlichen Sachen zusammen. Schlafen können wir ja auch ohne Zelt, aber der immer stärker werdende Wind macht uns einen Strich durch die Rechnung. Wir entdecken große weiße Zelte auf dem Campingplatz. Sie gehören der deutschen Bundeswehr. Schnell ist die Idee geboren, diese Zelte für eine Nacht zu nutzen, aber es ist niemand da, den wir um Erlaubnis fragen könnten. Nach der Abschiedsrunde mit Gebet, Abendmahl und einem wunderschönen letzten Sonnenuntergang am Strand okkupieren wir die Zelte der Bundeswehr.
Um 4.00 Uhr ist die Nacht zu Ende, und wir machen uns auf den Weg zur Fähre. Während dieser letzten Gelegenheit, die wunderschönen Berg-straßen zu genießen, können wir noch einen zauberhaften Sonnenaufgang beobachten.
Im Hafen von Bastia herrscht Chaos, und wir erfahren, daß die Route der Fähre geändert wurde und erst nach Savona und dann nach Livorno fährt.
Die Fahrt nach Savona dauert sieben Stunden, und ein weiteres Abenteuer beginnt. Der schon auf Korsika sehr böige Wind wird auf dem Meer noch viel schlimmer. Große Wellen bringen die Fähre ganz schön zum Schaukeln, und so mancher seekranke Mitreisende füttert die Fische im Meer. Leider hat der Sturm auch seine Spuren an einigen Motorrädern hinterlassen. In Savona wird alles von der Fährgesellschaft protokolliert, und wir können nur hoffen, daß wir den Schaden ersetzt bekommen.
Wir schaffen es an diesem Tag noch bis zum Gardasee und stellen fest, daß das Leben dort doch etwas preisgünstiger ist als auf Korsika. Wir genießen einen schönen Abend bei Pizza und Rotwein. Und wieder schlafen wir unter freiem Himmel, ein allerletztes Mal.
Nach einem sehr bescheidenem Frühstück beginnt die letzte Etappe. Wieder verläuft alles planmäßig. Bis zum Brenner. Dann kommt der große Regen, und er begleitet uns bis München.
Nach dem letzten Tankstop verabschieden wir 29 Biker und Bikerinnen uns sehr herzlich voneinander. Wir werden uns wiedersehen und noch die eine oder andere Tour gemeinsam unternehmen. Danke Roberto Jahn, daß du uns diese Reise ermöglicht hast!
Resümee: Diese Reise war nicht nur ein Abenteuer! Es liegen ca. 3500 km hinter uns, wunderbare Erlebnisse und Erfahrungen. Ich durfte sehr nette Menschen und ein wundervolles Land kennenlernen. Ein Traum hat sich erfüllt.