aus Kradblatt 2/18
von Marie Mattiza

Aus dem Suchtalltag
einer saisonal abstinenten Motorradfahrerin

www.motorradmieze.deIch starte den Motor mit meinem rechten Daumen, ziehe die Kupplung mit meiner linken Hand und lege den ersten Gang ein. Schlagartig kommen die rotierenden Zahnräder im Getriebe meiner Maschine zum Stillstand, klack und ein kaum wahrnehmbarer Ruck durchfährt die Yamaha. Ich lasse die Kupplung kommen und in diesem Moment warten wir beide nur noch auf den erlösenden Kraftimpuls: Gas! WIE ich dieses Gefühl liebe …!

… und derzeit so vermisse. Ich sehne mich nach dem Gefühl der Beschleunigung, welches mich leichter Hand aus dem Hier und Jetzt befördert. Die Welt um mich rum bleibt für einen kurzen Moment stehen und die Areale in meinem Gehirn, welche wie beim Genuss anderer Suchtstoffe stimuliert werden, schlagen händeklatschend Alarm. Let’s get the party started!

Zusammen mit der Ausschüttung von Dopamin und Adrenalin, aber auch schon beim bloßen Gedanken an diesen Moment, durchrauscht mich ein Glücksgefühl, welches so intensiv ist, dass mein Belohnungszentrum im Gehirn sofort an meine „Speed-Zellen“ sendet: gib mir mehr davon! Es ist also kein Wunder, dass man sich regelrecht als süchtig bezeichnen kann, also immer mehr davon will, wenn man einmal vom Motorrad-Fieber gepackt wurde.

Befände ich mich gerade im sonnenverwöhnten Spanien, würde ich dieser Sucht definitiv nachgehen. Und auch hier im kalten Deutschland, dessen unterschiedliche Jahreszeiten ich übrigens sehr liebe, könnt ihr mich gerne eine Schönwetterfahrerin schimpfen. Zwar empfinde ich eine Abenteuerfahrt durch den sommerlichen Platzregen im Schlechtwetterdreieck Altenburg-Meuselwitz-Rositz (Achtung Insider – so übel ist es dort gar nicht) als gelungene Abwechslung, aber die aktuellen Witterungsverhältnisse veranlassen mein Bedürfnis nach einem ausgeglichenem Risikomanagement die „Speed-Zellen“ meines Gehirns ganz kleinlaut werden zu lassen.

In den Übergangsjahreszeiten kommen sie gerade noch überein, aber ab dem späten Herbst warten ich und mein Gretchen lieber auf den nächsten Frühling. Und irgendwann, nach der Weihnachtsvöllerei und Silvesterknallerei, steigt die Sehnsucht – und die Angst: passe ich noch in meine Kombi?! – nach meinem Motorrad ab Januar plötzlich überproportional an. Beim Wort überproportional muss ich übrigens nicht an meine Gewichtszunahme während der Feiertage denken, sondern unweigerlich an mein miserables Matheabitur. Frag bloß nicht nach Sonnenschein! Aber Freunde, das Matheabi ist längst Geschichte, aus mir ist trotzdem etwas geworden und viel wichtiger: wir HABEN Januar!

In stillen Momenten der Verzweiflung jage ich dann nach Feierabend meinen Mazda über die Autobahn und genieße die Geschwindigkeit für einen kurzen Moment. Komischerweise fühle ich mich im Auto bei hohen Geschwindigkeiten unbehaglicher, als auf meinem Motorrad. Geht Euch das auch so? Der Mensch ist schon ein sehr eigenwilliges und irrationales Wesen, wenn er glaubt, er hätte auf einem Motorrad ohne jegliche Knautschzone mehr Kontrolle über sein Leben, als im Schutze des Blechmantels seiner japanischen Reisschüssel. Aber so mache ich mir eben die Welt, wie sie mir gefällt. Und entscheide mich just in diesem Moment, kommenden Freitag laut „Helau!“ in die Massen zu rufen. Das wird tatsächlich mein erster Faschingsbesuch seit Jahrzehnten, aber wie als MARIEnkäfer zu Kindergartenzeiten werde ich da garantiert nicht aufkreuzen. Da muss schon eine richtige Verkleidung her. Zumindest für alle anderen Partygäste, die noch immer nicht glauben, dass es auch Frauen aufs Motorrad verschlägt. Was läge da näher, als mich als waschechte Motorradmieze zu kostümieren. Ein bisschen Spaß muss schließlich sein in der fünften Jahreszeit.

Außerdem kompensiere ich das Vermissen aktuell auch durch Sport. Ins Fitness-Studio gehen mein Freund und ich schon seit einigen Jahren. Und damit auch Euch wie allen anderen die Münder aufklappen bei folgender Information: dafür klingelt unser Wecker regelmäßig zwischen – ACHTUNG, wir sind keine Bäcker – 4.00 und 4.30 Uhr. In den letzten Monaten hatte ich allerdings keinen regelmäßigen Trainingsrhythmus und tatsächlich hat sich das auch negativ auf meine Kraft und Kondition beim Biken ausgewirkt – übrigens auch beim Einkäufe schleppen, Möbel und hohe Schuhe tragen sowie Fenster putzen. Dem wird nun wieder aktiv und hochmotiviert entgegengewirkt und langsam kommt die alte Begeisterung fürs Training zurück. Ein Pluspunkt für die Nicht-Saison, die auch bald wieder ihr Ende findet, aber auch ein Pluspunkt dafür, alte Geister hinter sich zu lassen.

Bis März entwickle ich einfach weitere Süchte, denn wer in dieser Woche meine Instagram-Story (siehe www.insta
gram.com/motorradmieze) verfolgt hat, wird nicht nur bemerkt haben, dass ich mein Leben erst nach einem ersten, morgendlichen Kaffee erträglich finde, sondern dass ich mich neuerdings neben dem Motorradfahren auch nach dem Kuchen und/oder Eis (Hallo nimmersattes Belohnungszentrum!) während der Pausen einer Motorradtour sehne.

Dabei in der Sonne sitzen, den qualmenden Helm auslüften und sich über die individuellen Erlebnisse der letzten Minuten und Stunden unterhalten. Spätestens beim Fachsimpeln über unterschiedliche Modellreihen ab 1935 kann ich getrost meine Augen schließen und abschalten. Vieles überlasse ich in meinem Leben nicht allein den Männern, solche alten Kamellen allerdings schon. Denn ich hab’ ein Haus, ein kunterbuntes Haus, ein Äffchen und ein Pferd, die schauen dort zum Fenster raus … tralalalalaaaa.

Im Übrigen finde ich das Gefühl des Vermissens gar nicht so schlimm, ganz im Gegenteil. Einer meiner Lieblingsfilme ist „Vanilla Sky“ und dort dreht sich eine Szene um den sogenannten Verzögerungsgenuss – denn Vorfreude ist bekanntlich die schönste Freude. Oder auch: beim Essen das beste Stück bis zum Schluss am Tellerrand liegen zu lassen, sich auf ein Wiedersehen freuen oder die neueste Bekanntschaft nicht direkt mit nach Hause zu nehmen. Für mich bedeutet das: ich freue mich, wenn ich mich auf etwas freuen kann! Also warte ich momentan mit zwei lachenden Augen auf die kommende Saison und bin glücklich, dass mein Leben in der Zwischenzeit trotzdem einen Sinn hat.

Und in genau diesem Sinne wünsche ich Euch eine schöne Zeit bis es wieder heißt: Gas geben!


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