aus Kradblatt 7/19, von Christoph Hamkens, Estland

Mit dem Nafri von Neapel über Hamburg nach Estland

Cockpit - Aprilia 350 Tuareg Wind

Schon immer lag mir das Wohlbefinden der nordafrikanischen Wüstenbewohner sehr am Herzen. Ich bin der festen Überzeugung, dass auch Tuareg ein Anrecht auf stabile Lebensverhältnisse und gesicherte Ersatzteilversorgung haben. Um das aktiv zu unterstützen, habe mir ein Flugticket von Hamburg nach Neapel gekauft. 

14 Kilogramm Gepäck kamen schnell zusammen, Helm, Regenkombi (sehr wichtig in Neapel), zwei Paar Handschuhe, Lederhose, Motorradstiefel, ein wenig Werkzeug, Kabelbinder, Alles was man so brauchen könnte, kam mit. Die Tasche mit der Spanngurtumwicklung sah abenteuerlich aus und in Fuhlsbüttel wollten die das nur als aufpreisloses Sperrgepäck einchecken – geschenkt. Mit einer unendlichen Anzahl Rentner im Flieger (wollten die alle für 29 Euro zum Vesuv?) ging es mit Eurowings über die Alpen. 

Voll beladen auf Tour - Aprilia 350 Tuareg Wind Wie bitte? O.k., alles zurück auf Los, dann erkläre ich mal den Vorlauf zu dieser Alpenüberquerung. 

Ich habe 2017 durch ein berufliches Missgeschick das Motorradfahren in alter Form – Supermoto mit 900 plus x ccm – nicht mehr so richtig gepackt. Als Alternative nach der REHA habe ich dann zum  Wiedereinstieg mit einer kleinen Aprilia Tuareg Wind, einer Enduro, wieder angefangen zu spielen. Aber wenn man gerne schraubt, dann vermehren sich Motorräder irgendwie. Also standen am Ende drei der Aprilia Enduros mit dem 350er Rotax Motor in der Werkstatt: Eine für meinen Stiefsohn, eine für einen guten Bekannten und eine für einen Neuseeländer, der hier in Estland, wo ich aktuell lebe, hängengeblieben ist.

Doch irgendwie fehlte dann noch das „letzte“ Modell, eine 350er Tuareg Wind der zweiten Generation in dieser Reihe. Aber diese kleine Motorisierung gibt es fast nur in Italien. 

Aprilia 350 Tuareg WindIn der heutigen Zeit führen nicht alle Wege nach Rom sondern zur Facebook-Gruppe, Aprilia Tuareg und ETX in Italien. Und dort habe ich solange Verkäufer angeschrieben bis irgendwo im Süden, 90 Kilometer hinter Neapel, mir und meinem rudimentären Italienisch jemand folgen konnte.

Giuseppe hatte eine passende Tuareg Wind zu verkaufen. Der Preis war o.k. und ich davon fest überzeugt, dass man irgendwie mit der italienischen Zulassung das Motorrad übernehmen kann,  es in stabile Verhältnisse überführt, zulässt und der Wüstenbewohner eine neue Heimat findet.  

Wer sich mit diesem Thema in den letzten Jahren beschäftigt hat, der wird jetzt den Kopf schütteln und an Worte wie: Impossibile, Libretto, Targa und Guardia Finanza denken. Mir war das egal – mit der festen Überzeugung, die italienische Bürokratie unter Kontrolle bringen zu können, stieg ich in den Flieger.

Von Neapel aus ging es dann mit dem Überlandbus bis Avellino weiter. Zwei Cappuccino später holte Giuseppe mich dort ab und per Fiat, womit auch sonst, ging es weiter in die Berge nach Lioni, denn dort stand das Objekt der Begierde für mich bereit. 

Mit den Papieren sind wir zur Agencia Nittoli, einem staatlich lizenzierten Makler, gefahren. Lange Diskussionen und 150 Euro später, mein Italienisch war schon fast verhandlungssicher, gelangte dann ein gestempeltes und mit einer Wertmarke verziertes Schriftstück in meinen Besitz. Dem Inhalt zur Folge war ich nun Eigentümer der Aprilia Tuareg Wind, die eigentliche Abmeldung würde aber erst später erfolgen. Seit dem Sommer 2018 ist dies möglich. Allerdings war ich deren erster Kunde, der dann auch überzeugend versprach geschätzte 3500 km weiter am anderen Ende von Europa dafür zu sorgen, dass 

a) das Nummernschild zurückgeschickt wird
b) die Tuareg im Ausland neu zugelassen wird
und c) die neue Zulassung in Kopie mit in den Umschlag wandert.

Jetzt kam die praktische Prüfung, das ganze Gepäck wurde turmhoch auf der Aprilia verstaut – Spanngurte wirkten Wunder. Giuseppe steuerte noch ein Topcase und eine Handyhalterung bei und zeigte mir den Weg zur Hauptstraße Richtung Avellino, raus aus den Bergen. 

Strand in Italien Ab jetzt war es ja theoretisch ganz einfach: Immer nach Norden, da ist Hamburg. Da parkte mein VW Bus, der bringt alles nach Hause. Das ist seit mehr als zwanzig Jahren in Estland. 

Führen alle Wege nach Rom? Nein, an der ersten Autobahnkreuzung ging es links nach Neapel, rechts nach Rom und ich fuhr geradeaus ans Meer. Navigation? Kein Problem, die Datenflatrate und Google-Maps mit einem wasserdichten Outdoorhandy machen alles möglich. Den einzigen kostenlosen Abschnitt am Strand zu finden, das ist dort die Kunst. Stilecht konnte ich die Tuareg Wind sogar neben einer Pegaso parken.  Frisch gebadet ging es dann auf der Via Appia vorwärts. 

Um Rom herum und dann auf der Via Aurelia an der Küste entlang, Bella Italia vom Feinsten. So 300 km pro Tag waren als Pensum angesetzt, das ist und war realistisch, ohne Autobahn und ohne Maut. 

Defekter Kerzenstecker - Aprilia 350 Tuareg Wind Am nächsten Morgen dann in Tarquinia der große Schock, das Mistding springt nicht an. Tolle Nummer, 28 Grad im Schatten, Gepäck schon drauf und nichts geht. Ok, Werkzeug raus, irgendwas muss ja zu finden sein. Verkleidungen weggebaut, Tank zurück, Kerzenstecker runter und kein Zündfunke – Stecker kaputt. Dottore il ingegnere hatte das Ding vor X-Jahren mit Isoband geflickt und die Schraubverbindung Zündkabel-Stecker ist auch schon ganz grün vor Wut. Den Hotelier gefragt, wo es hier einen Laden gibt, eine Werkstatt, den ADAC, die Bergrettung, egal nur irgendwas. Der Finger zeigte gen Himmel, zu Gott? 

Nein, den Berg rauf, da soll es eine Werkstatt geben. Und oh Wunder, die fanden in ihren Beständen WD40, einen neuen Zündkerzenstecker sowie diverse Muttern und Schrauben, die auch irgendwie abhanden gekommen waren. Perugini SRL., du bekommst meinen persönlichen Piaggio-Gruppen Service Award! Ich ging den Berg wieder runter und der Chef von Perugini in die Mittagspause. Die neue Iridiumkerze, noch von Tante Louise aus Hamburg mitgebracht, reingeschraubt und den neuen Stecker drauf – der Rotax ballerte los. Ich liebte Italien wieder, in Angesicht des Schweißes, denn der lief in Strömen nun schon drei Stunden in die Lederhose. Das T-Shirt klebte bereits nach dreißig Minuten am Körper.

Piaggio Museum in Pontedera Weiter im Text und auf der Via Aurelia. Die Küste wurde immer schöner und zur Belohnung fand ich ein preiswertes Hotel für 50 Euro direkt am Strand in Marina de Cecina. Sand und Sonne, Flachköpper in die Wellen und ein funktionierendes Motorrad – Entspannung total mit einem Dach über meinem Kopf und einem überdachten Stellplatz für die Tuareg. Ich blieb dort drei Tage und zur Belohnung für Ross und Reiter gab es einen Ausflug ins Piaggio Museum nach Pontedera. Dort ist der Eintritt frei, deshalb konnte ich nach dem Anblick von geschätzten 261 Rollern das gesparte Geld in einen Haufen Calamaro Fritto investieren. 

Vespa im Piaggio Museum Dann kamen die Regenwolken der etruskischen Küste bedenklich nahe und durch die Toskana bin ich über Pistoia auf der SS64 gen Sasso Marconi weitergereist. 

Kurven und Berge satt, der italienische LKW-Fahrer auf einem extremen Bergabschnitt gab die Pace vor. Ich ahnte immer schon, dass ich kein besonders guter Motorradfahrer bin. 

In Bologna war dann der Spaß zu Ende, auf geraden Landstraßen an Mantua mit nördlichem Kurs vorbei. Ab Verona gab es strömenden Regen, allerdings war das bei 23° Celsius kein wirklich großes Problem.

Rally-Aprilia im Piaggio Museum Zehn Kilometer vor Rovereto starb der Handyakku und damit auch die Navigation, die Hotelbuchung, die Hoteladresse und das Ganze direkt vor dem Ziel im Trentino. Geniales Timing, aber fing der Name des Hotels nicht mit Maso an? Und steht da nicht ein Schild „Hotel Maso xyz nach rechts? Ich bin gerettet. 

Geklingelt und es erschien: „Sie“; der Ausblick ins Tal war schon nett, aber: Liebe Frau des AZIENDA AGRICOLA MASO SPERON D’ORO, die du mir in höchster Not die Tür geöffnet hast, mich mit Strom, Wärme, strahlenden Augen und schwarzem Humor versorgt hast; ich werde vielleicht den Aus- und Anblick eures Tals vergessen, aber dich nie! Sie erklärte mir dann wo das gebuchte Hotel, auf der anderen Talseite nur 4 km weiter, zu finden ist. Und bedauerte, dass sie mir keine Unterkunft anbiete könne, weil in ihrem Hotel eine Hochzeit stattfinden würde. Dann feudelte sie lächelnd die Hotellobby wieder trocken. Jetzt weiß ich, dass meine Motorradstiefel nicht wasserdicht sind, das Wasser läuft wieder raus.    

Scrambler im Piaggio MuseumAm nächsten Morgen habe ich dann die eigentlichen Alpen überquert. Bin über Meran zum Reschenpass hoch, habe in Nauders getankt, an Landeck vorbei und unzählige Wohnwagen überholt. Unglaublich was da alles in die Alpen wollte. Wie schön, dass der Stau mit Stop-go meistens nur auf der Gegenfahrbahn war und ich mit italienischem Nummernschild konsequent die meisten Verkehrsregeln nicht beachten musste. 

Und dann war ja auch schon die österreichisch-deutsche Grenze erreicht, von grenzsichernden Schergen keine Spur und so kam der Nafri ungesehen über die Alpen. Ich war in Bayern. Das war sofort klar, denn Seehofer hing (wahl)werbend am Baum. Den Anblick habe ich nicht lange ertragen (müssen), denn via Kempten bin ich entspannt übers Land ins Schwäbische gefahren. 

In Bad Buchau „Am Kreuz“ erwartete mich ein motorradfreundliches Hotel und am nächsten Morgen, einem Montag, ein geschäftlicher Termin im nächsten Dorf. 

Zuhause in Estland - Aprilia 350 Tuareg Wind Ich erspare jetzt dem Leser die exakte Wegbeschreibung von Betzenweiler nach Hamburg. Hinter Würzburg habe ich am nächsten Morgen dann doch die Auffahrt zur A7 genommen. Kein wirklicher Spaß, viel Fahren im LKW-Windschatten, seit 2017 spielen meine Halswirbel nicht mehr so mit, aber am Abend um 18 Uhr stand ich in Hamburg Hamm mit der Aprilia Tuareg neben meinem VW T4 und habe sie verladen. 

Insgesamt kamen mehr als 2500 km auf dem Tacho zusammen und der Nafri erfreut sich jetzt stabiler technischer Versorgung und liebevoller Pflege unter estnischem „Targa“. Ende gut, alles gut! 

Über die weiteren technischen Schwierigkeiten der Reise will ich hier nicht viel schreiben. Die Feder für den Seitenständer ist in den Alpen geblieben, das hintere Kettenrad hat sich fast ohne Zähne durchgebissen. Ich kann jetzt besser einschätzen, auf Grund welches Pflege- und Reparaturverhaltens einige Biker Abstand von „Flüchtlingen“ aus Italien nehmen. Aber mir war es das wert, Urlaub, ein Stück Abenteuer – und „Mann“ muss ja einmal mit dem Motorrad in den Alpen gewesen sein.