Erfahrungsbericht von Holger Gehrke
aus bma 1/11
Seit Jahren tobt unter navibestückten Bikern eine Art Glaubenskrieg der Systeme, und das durchaus in einer Art, wie sich im PC-Bereich die eingefleischten Windows- und Mac-User befehden.
Navi-Biker teilen sich grob in TomTom- und Garmin-Fans. Zusammengefasst schwärmen Erstere von der einfachen und schnellen Bedienbarkeit ihres TomToms und von den wunderbaren Sträßchen, die er auf die Schnelle hervorzaubert. Grinsend ergänzten sie ihre Ausführungen dann auch noch mit dem Hinweis, dass kein TomTom jemals einen Biker durch eine Fußgängerzone oder in eine Sackgasse geführt hätte wie die Konkurrenz das angeblich gelegentlich tut. Auch könne die TomTom-Software sehr wohl zwischen Autobahnen und ausgebauten Bundesstraßen unterscheiden, was dem Garmin als USA-Produkt anfangs in der Tat völlig abging.
Wenn dann die Garministen zum Gegenschlag ausholen, verweisen sie meist auf zwei Punkte: Für den Garmin können mittels MapSource-Software daheim am PC wunderbare Routen erstellt und übertragen werden, was eine mühselige Tipperei am kleinen Gerät unnötig macht. Und überhaupt kann man beim Garmin viel mehr unterschiedliche Parameter einstellen, um zur perfekten Tour zu kommen. Er verkraftet tausend Wegepunkte, wo der TomTom schon nach deren fünfzig passen muss.
Was davon ist aber wirklich in der Praxis wichtig? Ist jemand schon mal eine Tour mit tausend Wegepunkten gefahren? Und ist es wirklich so, dass man TomTom-Routen nicht am PC vorplanen kann? Die Zeiten ändern sich, und manchmal auch die Produkte…
Garmin kann nun dezidiert Autobahnen ausschließen und hat mit dem Zumo 660 ein Gerät auf dem Markt, das man sogar mit Handschuhen bedienen kann – wie immer schon das TomTom. Großes und helles Display, einfache Menüführung, Bluetooth, und sogar einen MP3-Player und einen Fotobetrachter eingebaut (wer braucht die eigentlich beim Biken?). Schön teuer ist der Garmin Zumo 660 aber immer noch. Leistung hat eben ihren Preis. Und genau daran rüttelt jetzt TomTom gewaltig mit seinem neuen „Urban Rider Europe“, der schon ab 249 Euro zu haben ist – je nach Ausstattung.
Rein äußerlich hat sich erst mal nichts geändert: relativ klobiges Gehäuse mit kleinem Display, allerdings mit einer soliden Halterung, die nicht mehr – wie einst die erste Ausführung – beim dritten Schlagloch auseinanderbricht.
Erhalten hat sich auch die einfache Bedienung, die mit (Sommer-) Handschuhen möglich ist. Der Akku hält jetzt sogar ganze acht Stunden; muss er auch, denn in der Grundausstattung ist nämlich keine aktive Halterung mit externer Spannungsversorgung vorgesehen. Also ist eine Nachrüstung vorprogrammiert (+69 Euro).
Dafür sind jetzt insgesamt vier Routing-Varianten wählbar: Kürzeste und schnellste Strecke wie bisher, zusätzlich aber auch noch „ökonomisch“ als eine Art Mix von beiden und als absoluter Clou für die Biker-Klientel: „Kurvige Strecken“! Ferner kommt das Gerät auch mit Bluetooth, sodass man unterm Helm auch die Anweisungen sowie den Anruf vom Handy entgegennehmen kann. Keine fliegenden Kabel mehr und das Ganze funktioniert – wie von TomTom gewohnt – auch simpel und sicher.
Und absolut einfach ist das Handling über den PC mit der Software „TomTom Home 2“. Damit kommt auch der PC-Laie auf Anhieb zurecht und bekommt keine grauen Haare wie ich etwa bei den Freischaltprozessen bei Garmin, damit er überhaupt mal eine Karte auf dem Schirm sehen kann. Ich habe jüngst einen neuen PC bekommen und bin schier verzweifelt – als geübter User – bis ich die Garmin-Sachen wieder wie vorher am Laufen hatte, etliche Anrufe bei der selten erreichbaren Hotline inklusiv! Nichts davon beim TomTom: Einschalten und loslegen!
Und in diese „TomTom Home 2“- Software lässt sich jetzt auch die „Tyre“-Software integrieren. Geht auch ganz einfach. „Tyre“ („Trace Your Route Everywhere“) greift auf Google-Maps zu und dort lassen sich Routen einfach und schnell planen und mit einem Mausklick auf den Rider übertragen. Wer hingegen Garmin-Routen für den TomTom nutzen will, der sei auf die ebenfalls kostenlose Software „ITN-Converter“ verwiesen, die sogar automatisch lange Mega-Wegepunkt-Routen auf TomTom-fähige fünfzig Wegepunkte reduziert. Klappt auch auf Anhieb und einwandfrei.
Fazit:
Beide Systeme haben unterschiedliche Zielgruppen: während Garmin den technisch interessierten und fortgeschrittenen Anwender im Auge hat, empfehle ich TomTom für Leute, die einfach und schnell ein paar schöne Touren fahren wollen und die ihre Freizeit nicht mit Software- und Hotline-Diskursen schmücken wollen.
Ich selbst habe von Anfang an immer mit beiden Systemen experimentiert, fand mal Garmin besser und mal TomTom. Nachdem TomTom aber den Rider zunächst nicht weiterentwickelte, bin ich dann erst mal beim Zumo 660 gelandet. Das hat sich jetzt wieder geändert, denn die kleine, klobige Urban-Rider-Kiste macht mir doch mehr Spaß als erwartet. So viel, dass ich derzeit bereit bin, ihre Nachteile in Gewicht, Größe und Ausstattung gern zu ertragen, zumal mir beim Zumo 660 der MP3-Player eh regelmäßig abgestürzte und dann gleich den ganzen Apparat dunkel schaltete.
Und der Preis ist eben auch heiß, sprich günstig. Warum mehr ausgeben, wenn man für 249 Euro schon die neue Funktion „Kurvige Strecken“ serviert bekommt und eine knackige Software, die sich leicht und effektiv zur Routenplanung einsetzen lässt?!
Eingefleischte Apple-User lassen sich bekanntlich genauso schwer überzeugen auf einen Windows-PC umzusteigen wie Hardcore-Garmin-User sich einen TomTom zulegen werden. Das kratzt vermutlich auch gewaltig am Image. Egal. Ich indes will einfach nur fahren und genießen und das schon, während andere noch am PC oder in der Hotline hängen. Deshalb mein Tipp: TomTom Urban Rider Europe für 249 Euro plus die Kohle für die aktive Halterung. Außerdem gibt es noch ein alternatives Set mit aktiver Autohalterung. Letztere tut es übrigens auch – dank kräftigem Saugnapf – für Bikes mit großer Scheibe wie meine alte K 100 LT: Nicht mal meine Härtestrecke, die noch jedes Mal mein Segelboot vom Trailer rockte, schaffte es, den Rider von der Scheibe zu schießen!
Also, die Schlacht der Systeme geht weiter, aber TomTom hat mit dem Urban Rider viel Gelände gut gemacht!
Einen ausführlichen Erfahrungsbericht über das Garmin zumo 550 findet Ihr <hier> im bma-Webarchiv sowie in der bma-Ausgabe 10/10, die Ihr <hier> herunterladen könnt.
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Kommentare
4 Kommentare zu “Erfahrungsbericht TomTom / Garmin”
hallo,
ein wirklich umfassender Artikel, vielen Dank dafür.
Doch da auch die günstigsten Varianten meine Möglichkeiten (und meine Bereitschaft) übersteigen, habe ich nach eben noch günstigeren Alternativen gesucht und bin fündig geworden. Die Garmin Autonavis, fast alle von denen, haben eine Kugelaufnahme für die Scheibenhalterung und genau dafür gibt es in der Bucht für satte 2,49 und 4 Wochen Lieferzeit einen Fahrradlenkerhalter, der an jeden runden 22mm oder auch zölligen Lenker passt. Damit das ganze nicht so wasserempfindlich ist, habe ich einfach eine Klarsichtfolie umgelegt und bei Starkregen – kommt ja auch mal vor – wandert das Teil in die Innentasche meiner Jacke, denn dann kann ich ohnehin nichts mehr erkennen.
Natürlich funzt das ganze auf Wunsch auch mit Bluetooth und die Stromversorgung war auch nicht schwer zu legen, denn der Scheinwerfer und die Armaturen liegen ja gleich um die Ecke.
Als ich nun vor kurzem extrem unachtsam meinen Tankrucksack an der Ampel verschoben habe, ist mit das Teil das erste mal runtergefallen, hat die letzten 3000tkm davor tapfer auch die schlimmsten meckpommerschen Kopfsteinpflasterstrassen gut und fest gehalten.
Viele Grüße aus Lüneburg und allzeit gute Fahrt!
Hallo und Guten Tag,
ja, ich war auch einer dieser echten „Garmin-Verfechter“. War… Ich muss sagen: never more!
Bestätige: Abstürze und Bugs, Hotline hier und da, Sprachausgabe so verständlich wie DeutscheBahn-Englisch. Ansagen könnten manchmal auch ein „Da hätten wir jetzt abbiegen müssen…!“ gebrauchen, so spät kommen sie.
TomTom ist da wirklich eine echte alternative geworden – zumal bei dem Preis. Smart und gerade für das Motorradfahren, was ja doch etwas mehr Aufmerksamkeit verlangt, als ein Navi es bekommen sollte, super konzipiert!
Schade nur, dass beide (obwohl TomTom auf Linux läuft und MacOS auch ein Unix-Abkömmling ist) nicht auf die Schiene Linux wollen(!). Hier fließen wohl nicht genug Gelder aus Amiland – Nutzer gibt es wie Sand am Meer (weit mehr, als Mac-User übrigens). Dies ist für mich ein reines Politikum und steht beiden nicht gut zu Gesicht. Quasi-Plattformunabhängigkeit bekomme ich ja selbst als kleines Ingenieurbüro hin. Ich muss ja nicht immer alles bis zur Treiberschicht neu erfinden wollen. Was soll das also?
Bin von meinen bisher 3 Garmins ziemlich genervt. In der Praxis sorgen viele SW Fehler für unangenehme Überraschungen, so dass die in Vorfreude am PC geplante Route in der Praxis dann doch nicht funktioniert. Ist auch nie wirklich ans Motorrad angepasst. Einige Pässe z.B. Stilfser Joch fährt er z.B. nie, weil es ja ein Umweg ist und schnellere/kürzere Strecken möglich sind!
Und ja: Mapsource oder Updates mit Kartenrechten installieren ist bei mir mehrfach in Panikausbrüchen geendet, weil
Da Tomtom jetzt die Routen von Garmin Mapsource einlesen kann, werde ich mal einen kaufen.
TomTom
Hallo, der Erfahrungsbericht gefällt mir gut. Ich tendiere auch eher zum TomTom.
Frage: kann ich mit Tyre geplante Routen auch auf ein anderes TomTom exportieren, zB. auf ein GoLive.
Vielen Dank für eine Info!
Gruß G. Scheller