aus Kradblatt 9/18
von Marcus Lacroix

Ducati Scrambler 1100
Ein wenig mehr von allem …

Ducati Scrambler 1100 Sport, Modell 2018

Seit Anfang 2017 fahre ich eine Ducati Scrambler in der stylischen Variante „Desert Sled“. Gekauft ohne Probefahrt, nur aufgrund der Optik und des positiven Fahrberichts von Jochen Vorfelder im Kradblatt 3/17. 

Vermisst habe ich bisher nichts. Die 803 ccm und 73 PS reichen eigentlich immer, der Sound ist ok und beim Anblick der goldenen Felgen geht mir jedes Mal das Herz auf. Ok, eine Gang­anzeige wäre ganz nett, da ich immer einen höher schalten will, als Gänge zur Verfügung stehen. Den Spritzschutz am Hinterrad empfinde ich als Frechheit und die Sitzbank könnte ich mal vom Polsterer an meinen Po anpassen lassen. Aber sonst ist alles paletti.

Und dann schiebt Ducati eine 1100er Scrambler auf den Markt, gerade mal 13 PS sowie 276 ccm stärker und das in Zeiten, wo zweizylindrige Retrowelle-Mitbewerber auch gerne mal mit 110 PS an den Start gehen. Warum sollte man sich da die 11er Scrambler kaufen, die noch dazu für (ab) 12.990 € nicht gerade als Sonderangebot daherkommt?

Ducati Scrambler 1100 Sport, Modell 2018Das Angebot von Ducati Deutschland, die Presse-Scrambler 1100 (ab 12.990 €) für über eine Woche zu bewegen, u.a. auf der Kradblatt-Leserreise ins Weserbergland, nahm ich natürlich trotzdem gerne an.

Mein Fazit nach etwas über 1600 km kann ich hier schon vorweg nehmen. Meine Frage lautet jetzt: Warum sollte man sich eine 800er Scrambler kaufen, wenn man die 1100er bekommen kann?

Aber der Reihe nach. Die 1100er Scrambler ergänzt die erfolgreiche Baureihe der 800er und der 400er Sixty2 nach oben. Trotz vertrauter Optik ist sie aber ein eigenständiges Bike. Sie ist etwas höher, länger und schwerer als die 800er, der Tank wirkt ein wenig wuchtiger und fasst mit 15 Litern auch 1,5 Liter mehr. Beim Umstieg von der Desert Sled kommt einem die 1100er zwar trotzdem etwas klein vor, aber das liegt eher an der hochbeinigen Sled.

In Kreisen der Scrambler-Fans wird die 11er Version eher als verkleidete Monster gehandelt, einem Urteil, dem ich mich aber nicht anschließen möchte. Für mich passt sie trotz dem Mehr an Ausstattung gut in die Ducati-Retro-Familie. Motorräder, die sich nicht über ihre Leistungsdaten definieren, die einfach nur für den optischen und fahrerischen Genuss auf der Landstraße ausgelegt sind, ohne dabei ernsthaft sportlich (sprich Rennstrecke) sein zu wollen. Mit diesem Anspruch starte ich bei Ducati Hamburg und lasse meine Desert Sled dort zurück.

Funktionelle Schaltereinheiten der Ducati Scrambler 1100 Sport, Modell 2018 Die Sitzposition passt, der hohe Lenker liegt angenehm in der Hand, der Kniewinkel erscheint erst etwas spitz, erweist sich aber als erträglich. Die Sitzbank hat sich nicht verbessert, mir pers. ist sie zu weich. Eine Änderung des Polsters kostet beim Sattler aber echt nicht viel, also Kritik geschenkt. Manche mögen ja auch dieses softere Sofa-Feeling.

Der Motor bollert auf Knopfdruck kernig los. Holla die Waldfee – da hat Ducati aber ordentliches Sound-Engeneering betrieben. Die Knöpfe der Schaltereinheiten am Lenker sehen zwar nicht so schick aus, wie die der 800er, funktionieren aber besser. Schwarz statt industriegrau hätte hier schon als Abhilfe gereicht.

Der erste Gang rastet mit deutlicher akustischer Rückmeldung ein, das kenne ich von der 800er. Insgesamt schaltet sich das 1100er Getriebe aber um einiges besser, als das meiner Sled – so soll es sein. Die große Gang­anzeige im teilweise neu gestalteten Cockpit ist auch genau mein Ding. Die hydraulische Kupplung ist leichtgängig, kommt aber erst recht spät. Eine Slipper-Funktion verhindert das Hinterradstempeln beim harten Runterschalten.

Auspuffklappe Ducati Scrambler 1100 Sport, Modell 2018 Durch die Hamburger City brabbel und sprot­­ze ich Richtung Elbbrücken, da fühlt man sich geradezu in Vergaserzeiten zurückversetzt. Das hat schon einen gewissen Charme. Doch plötzlich wird aus dem satten Brabbeln ein dezentes Bribbeln – nanü?! Blick auf den Tacho: exakt 50 km/h stehen auf der sehr gut ablesbaren Digitalanzeige. Die Elektronik erkennt den Zulassungs-Prüfzyklus und macht die Klappe im Zwischenrohr über einen Elektromotor dicht. Bei 48 oder 52 brabbelt es wieder. Och nööööö – ehrlich Ducati: das ist wie Silikonbrüste. Oder Schniedel-Verlängerungen. Mag ich auch beides nicht. Beim Diesel regen sich alle fürchterlich über elektronischen Zulassungsbeschiss auf und bei Motorrädern wird der Sound gefeiert. Ich könnte mich noch seitenweise darüber auslassen, da ich mit meiner Meinung (nicht nur) in Scrambler-Kreisen aber recht alleine dastehe, lasse ich es. Andere Hersteller sind da übrigens auch nicht besser – was es nicht besser macht …

Auf der A7 ziehe ich das Gas auf, die 1100er beschleunigt auf über 200 km/h, Spaß macht das natürlich nicht. Geht aber, das reicht als Info. Eine Reisegeschwindigeit bis 140 km/h ist ohne Windschutz ok, ansonsten hilft der Griff ins Zubehörregal. Richtig wohl fühlen sich Scrambler und Fahrer, wie vom Kon­strukteur wohl auch gedacht, zwischen 80 und 120 km/h.

Negativ-Federweg einstellen an der Ducati Scrambler 1100 Sport Auffällig an der Pressemaschine waren die leicht angeschliffenen Rasten. Die stylisch grob profilierten, aber wirklich gut haftenden Pirelli MT 60 RS kann man problemlos bis zur Kante fahren, kratzen tut’s bei mir da ohne Bodenwellen aber normalerweise noch nicht. Dazu kam das Gefühl, das Heck hängt zu tief. Ein Griff zum Zollstock brachte die Erklärung: der Negativ-Federweg war für mein Gewicht falsch eingestellt. Da ich nur knapp 70 kg netto auf die Waage bringe, muss der Kollege davor ein echter Floh gewesen sein. Aber egal, über Haken- und Ringschlüssel ist die Federbasis (auch Federvorspannung genannt) vorne wie hinten negativ schnell auf die empfohlenen 25–30% des Gesamtfederwegs eingestellt.

Negativfederweg vorne messenLiebe Leser: Ich kann euch nur dringendst empfehlen, diese Grundeinstellung auch an eurem Bike vorzunehmen, oder vom Händler eures Vertrauens vornehmen zu lassen. Es ist schnell gemacht und das Fahrverhalten ändert sich bisweilen drastisch. Im Fall der Scrambler wurde die Maschine mit wenigen Handgriffen handlicher und komfortabler – klar, denn das Federbein arbeitet nicht schon beim Aufsitzen in der Progression. Zu zweit ist das Messen und Einstellen noch schneller erledigt. Härter wird eine Feder durchs Vorspannen übrigens nicht. Lassen sich die Werte nicht einstellen, muss eine härtere Feder rein. An den Dämpfungsschrauben spielt erst danach herum, wenn überhaupt nötig.

Gepäck: Für die Weserberglandtour habe ich eine Tasche einfach auf dem Soziusplatz verzurrt. Ordentliche Ösen fehlen leider, ein hübsches Gepäcksystem gibt’s von Ducati als Zubehör. An der Sled fahre ich Legend Gear von SW Motech und bin damit auch gut zufrieden. Magnettankrucksäcke ohne Seitenklappen (wegen der Alu-Applikation) halten gut auf dem recht flachen Scrambler-Tank, Riemen sowieso, ein Quicklock lässt sich aufgrund des schraubenlosen Tankdeckels aber nicht montieren. Der Spritzschutz am Hinterrad ist bei Regenfahrten zugunsten der Optik nach wie vor voll für den Popo (freundlich formuliert)!

Auf den großen und kleinen Straßen im Mittelgebirge zaubert der Motor dem SCR-Fahrer dafür ein fettes Grinsen ins Gesicht. Immer das bisschen mehr Druck, das der 800er manchmal fehlt, immer einen Gang höher und damit entspannter unterwegs. Auch bei niedrigen Drehzahlen läuft der 1100er dabei sehr kultiviert. Der luftgekühlte, desmodromisch gesteuerte 2-Ventiler macht vor allem aber auch deutlich, das Leistungsangaben auf dem Papier überbewertet (bzw. unterschätzt) werden – Welcome to the Land of Joy, der Ducati-Scrambler-
Werbeslogan passt.

Kurzes Ducati 1100 Scrambler Heck - schön, aber bei Regen eine Dreckschleuder. Dem technischen Zeitgeist entsprechend, kann der Motor über die drei charakterlich verschiedenen Mappings: City (Leistungsreduktion auf 74 PS), Journey (geschmeidiger zur vollen Leistung) und Active (all in) angesteuert werden, die das Display passend anzeigt. Ich habe in jedem Mode eine komplette Tankfüllung verfahren, im Alltag ergab sich da kein nennenswerter Unterschied. Auch die Unterschiede im Ansprechverhalten empfand ich als nicht sooo gravierend und war zum Schluss auch im Regen nur noch im Active-Modus unterwegs – der „Mode“ in der Gashand reicht mir. 

Gleiches gilt für die vierstufige, abschaltbare Traktionskontrolle. Nice-to-have, funktioniert auch einwandfrei, auf die Feinjustierung kann ich pers. dabei aber verzichten. Das sehen und empfinden manche Scrambler-Treiber anders, also unbedingt mal die Modi selbst bei einer Probefahrt durchprobieren.

Cockpit - Ducati Scrambler 1100 Sport Als überflüssig empfand ich auch die neue, digitale Tankanzeige im Kombiinstrument. Sie ist weder sonderlich genau, noch optisch ein Highlight, aber auch sie stört zumindest nicht. Die gelbe Reserveleuchte, die nach wie vor vorhanden ist, reicht mir als Tankerinnerung. 

Mein Durchschnittsverbrauch auf den 1600 km lag bei 4,53 Litern je 100 km. Auf einem reinen BAB-Teilstück von 115 Kilometern bei ziemlich konstant Tempo 140–150 waren es 5,77 Liter/100 km. Da kann man doch recht gut mit leben, oder?!

Die Reifen bieten, wie schon erwähnt, auf Asphalt wirklich guten Grip. Auch auf trockenen Feldwegen kann man mit der Scrambler schön die Landschaft genießen. Ein echtes Offroad-Bike ist sie trotz des dezent hochgelegten Vorderradschutzblechs natürlich nicht. Bei der Presse-Scrambler war der Hinterradreifen nach rund 5000 km fällig, das lag aber auch mit daran, dass die Maschine vorher in Südfrankreich geschrubbt wurde. Ein wenig mehr dürfte im normalen Alltag also drin sein.

Ein Highlight und auch ein tolles Sicherheitsfeature ist das Bosch-Kurven-ABS. Überhaupt ankert die 1100er Scrambler mit ihren Brembo-Mono­blocks und den beiden 320er Scheiben vorne sehr effektiv. Gefällt mir sehr gut, da hängt die eine Scheibe meiner Sled deutlich hinterher.

Abblendlicht vs. LED-Tagfahrlicht - Ducati Scrambler 1100 Sport, Modell 2018 Nettes Gimmick: der Hauptscheinwerfer leuchtet wahlweise nur als Tagfahrlicht. Bei einsetzender Dunkelheit schaltet er dann automatisch vom markanten LED-Ring auf herkömmliches Abblendlicht um.

Unterm Strich ist die 1100er Scrambler für mich vom Fahrspaß her in allen Punkten die beste der Retro-Ducatis. Tolle Optik, tolle Fahrleistungen. Neben dem Basis- und dem Sport-Modell (ab 14.990 €) gibt’s noch die Spezial für 14.290 €. Kaufinteressenten sollten aber unbedingt die 800er und die 1100er (am besten nacheinander) zur Probe fahren. Es ist ja nicht so, dass die 800er nicht reichen würde und für die gesparten 3.900 € (800 Icon vs. 11er Basis) lassen sich schon eine Menge coole Zubehörteile oder stilistisch passende Bekleidung anschaffen. Ducati hat da einiges im Sortiment.

Der Umstieg, zurück auf meine Ducati Scrambler Desert Sled, war zunächst etwas unbefriedigend. Die goldenen Felgen entschädigten dann aber schnell wieder für die geringeren Fahrleistungen. Und wer weiß, zur Intermot Anfang Oktober kommt ja evtl. eine 11er DS …