aus Kradblatt 3/18
von Jochen Vorfelder

Fahrbericht Ducati Panigale V4 S

Ducati Panigale V4 S Modell 2018

Mit dem Superbike Panigale V4 S, so verspricht Ducati, könne man unbeschwert am Flair der Königsklasse Moto GP schnuppern. Das Erstaunliche: Es funktioniert.

Alessandro Valia könnte als Profi-Jockey durchgehen; von der Statur würde er perfekt in den Sattel eines Rassegaloppers passen. Doch irgendwann hat es den kleinen, drahtigen Italiener nach Bologna, um genauer zu sein in das im Stadtteil Borgo Panigale ansässige Motorradwerk, verschlagen. Deshalb ist er auch der Chef-Testfahrer von Ducati geworden. Und deshalb reitet Alessandro nicht mit einem wiehernden Pferdestärkchen aus, sondern steht in der Boxengasse vom Circuit Ricardo Tormo in Valencia und hat weit über zweihundert krachenden PS unterm Hintern.

Ducati Panigale V4 S Modell 2018 Das neue Ducati Panigale V4-Superbike, deren Zügel Valia hält, kann als ein Fahrgerät der italienischen Superlative durchgehen: 214 PS bei 195 Kilo Gesamtgewicht, Drehzahlen bis zu 14.000 U/min, ein wuchtiges Drehmoment von 124 Nm und ein – bei einem Serienfahrzeug – noch nie vermeldetes Leistungsgewicht von 1,10 PS je Kilo Gewicht.

Ducati Panigale V4 S Modell 2018 Mit der Panigale V4 und ihrem neuen Motor, den sie in Bologna auf den Namen Desmosedici Stradale getauft haben, macht Ducati einen radikalen Schnitt. Das Superbike – vorgestellt mit dem leicht barocken Versprechen „A New Opera“ – markiert den Abschied von der bisheriger Bologneser Twin-Tradition; unter der Verkleidung arbeitet das erste Vierzylinder-Serientriebwerk aus dem Werk. Der Motor baut direkt auf dem Aggregat auf, das die Sportabteilung Ducati Corse in der Königsklasse Moto GP fährt.

Nah dran am Rennsportlimit

Rolling Chassis - Ducati Panigale V4 S Modell 2018 Die Nähe der Panigale V4-Technik zum Rennsport auf höchstem Niveau ist in der Tat frappierend: Die technischen Blaupausen des Motors sind nahezu deckungsgleich, identische Highend-Werkstoffe wie Titan und Magnesiumlegierungen für Motorenteile und Gehäuse werden verbaut und senken das Gewicht des kompletten Serientriebwerks auf 64,9 Kilo – trotz der zusätzlichen zwei Zylinder wiegt der Desmosedici Stradale damit nur 2,2 Kilo mehr als der Vorläufermotor aus der Panigale 1299. Bei den vier Kolben aus gegossenem Aluminium nutzen die Ducati-Entwickler die gesamten 81 mm Durchmesser aus, die das Rennreglement zulassen. Ebenfalls Wettbewerbsklasse: Die Drehzahlen bis zu 14.000 U/min und das Verdichtungsverhältnis von 14:1.

Ein besonderer Motorenkunstgriff – neben der für Ducati weiterhin obligatorischen Desmodromik – ist auch die gegenläufige Kurbelwelle. Landläufig rotiert bei Serienmaschinen die Welle in die gleiche Richtung wie die Laufräder. Beim Panigale V4-Triebwerk wirkt der über eine zusätzliche Zwischenwelle umgelenkte Kurbelwellenlauf gegen die mit zunehmender Rollgeschwindigkeit immer stärker stabilisierenden Kreiselkräfte der Räder. Ducati sagt, das trage entscheidend zur Agilität und zum besseren Fahrverhalten beim Beschleunigen und beim Bremsen bei.

„Natürlich haben wir uns Rat bei unseren Moto GP-Fahrer geholt,“ sagt Alessandro Valia, der nicht nur die Fahrtests koordiniert hat, sondern auch an der Entwicklung maßgeblich beteiligt war. „Auch Casey Stoner ist schon die Prototypen gefahren und hat uns viel Feedback gegeben.“

Freunde der Italienischen Oper unterwegs

Ducati Panigale V4 S Modell 2018 Für Alessandro Valia sind Schwätzchen mit MotoGP-Weltmeistern und die Beherrschung von Spitzenwerten aus dem technischen Rotlichtbereich normaler Alltag. Testrunden auf Rennkursen wie Valencia gehören zu seiner Arbeitswoche. Deshalb sitzt er auch völlig tiefen­entspannt und wie eingegossen in der Sitzmulde seiner V4 S, obwohl die schon bei der Ausfahrt ein sehr böses Knurren von sich gibt.

Also hinterher? Rennsportmäßig eher minderbemittelte Fahrer wie meinesgleichen, spüren bei der ersten Begegnung mit der V4 S nicht nur ein freudiges Erwarten, sondern auch einen sehr trockenen Mund und eine leicht stechende Verkrampfung im unteren Magenbereich. Der fromme Wunsch, Valias Hinterrad auch nur ansatzweise im Blick zu behalten, ist deshalb schnell verworfen. Nach kurzer Dauer donnert Valias Maschine nur noch am Horizont, doch was man hört, ist sehr charakteristisch: Ducati hat der Panigale – egal, ob der V, der V S oder der limitierten V Speciale – eine Kurbelwelle mit 70 Grad Hubzapfenversatz mit auf den Weg gegeben; die erzeugt die spezielle Twin Pulse-Zündfolge.
Wie die funktioniert? Zuerst feuert der vordere Zylinder auf der linken 90°-V4-Motorseite. Neunzig Kurbelwellengrad später folgt ihm der hintere linke Zylinder und produziert Vortrieb. Danach passiert 200 Grad lange rein nichts, bevor es bei 290 und 380 Grad zunächst im rechten vorderen und dann im hinteren Zylinder zündet. An was das erinnert? An zwei versetzt laufende Ducati V-Twins. Also keine Angst, Freunde, auf den speziellen Duc-Sound müsst ihr auch nach dem schmerzlichen Abschied vom etwas tieferbassigen V-Twin-Grollen nicht verzichten.

Ducati Panigale V4 S Modell 2018 Einmal auf der Strecke gilt die ganze Sorge ohnehin nicht der grandiosen Klangsymphonie, sondern der rohen Kraft der Panigale V4 S. Auch wenn das Renngerät weit unter den maximalen 14.000 U/min bewegt wird, haut der Motor eine Leistung raus, die – sieht man von einer Handvoll hochbegabter Asphaltartisten ab – ohne Hilfssysteme kaum mehr beherrschbar ist. Wie auch? Die 214 PS – mit dem offenen Titanrennauspuff der V4 Speciale sind es gar 226 Pferdestärken – wirken auf eine Gripfläche von der Größe eines Smartphones.

Die Kurvengeschwindigkeiten und Fliehkräfte zerren so an Fahrer und den eigens für die neue Panigale entwickelten und noch einige Monate exklusiven Pirelli Supercorsa SP (vorne 120/70 ZR 17, hinten in der neuen Dimension 200/60 ZR 17), dass die heißen Flanken nach wenigen Runden abgerubbelt sind. Die neue Panigale ist, das wird schon nach wenigen schnellen Turns und mit verschwitzter Kombi klar, eine reine Energie-Transformations-Maschine: Während Sprit und Adrenalin in vollen Zügen reingesaugt werden, pumpt sie bei Spitzengeschwindigkeiten bis zu 300 km/h alle Kraft und Konzentration ab.

„Einmal bitte mit Alles!“ am Elektronik-Imbiss 

Öhlins - Ducati Panigale V4 S Modell 2018

Es hilft, dass Valia und Kollegen aus der Moto GP-Rennabteilung auch die Elektronik-Systeme mitgebracht haben, mit dem die überbordende Power der straßenzugelassenen Boden-Boden-Rakete im Zaum gehalten werden soll. Das Paket basiert auf einer sechsachsigen Sensorenplattform von BOSCH (6D IMU), die das Roll- und Gierverhalten und die Neigung des Fahrzeugs permanent überwacht und in die Elektronik einliest.

Kontrolliert wird das datengesteuerte Fahrverhalten dann durch die verbauten Kontrollkomponenten: An Bord sind u.a. ein schräglagensensibles ABS mit mehreren Einstellungslevels, das die Bremskraft wahlweise nur am Vorderrad reguliert, die mehrstufige Traktionskontrolle und eine Slide Control für die gezielte Kontrolle des Driftwinkels beim Herausbeschleunigen aus Kurven.

Cockpit - Ducati Panigale V4 S Modell 2018 Hinzu kommt ein Wheelie-Wächter, um das gezielte Steigen des Vorderrads zu ermöglichen, der Power Launch zum optimalen Start und ein Quickshifter, der das schnelle Hoch- und Runterschalten des Sechsganggetriebes ohne Kupplung zulässt. Mehr geht selbst in der Moto GP kaum, ist aber leicht handhabbar über eine neue Menüsteuerung und das 5 Zoll-TFT-Display, das auch in der prallen Sonne in Valencia gut ablesbar war.

Auch die hervorragende Brembo-Bremsanlage, mit den aus einem Stück Leichtmetall gefrästen Bremszangen und der Aufbau des Chassis, sind Ducati Corse-Rennstandard. Der V4-Motor übernimmt die Rolle des tragenden Verbindungsstücks zwischen dem Frontrahmen (4,2 kg) und dem mit 1,9 kg federleichten, zweiteiligen Aluminiumheckausleger. Die geschmiedete und 5,1 kg leichte Einarmschwinge ist direkt am Motorblock gelagert. Diese Konfiguration des Fahrwerks sorgt, so Ducati-Pilot Alessandro Valia, in Verbindung mit der reaktiven elektronischen Gabel- und Stoßdämpfer-Komponenten von Öhlins dafür, „dass die V4 auf der Strecke unvergleichlich ist und doch jederzeit berechenbar reagiert“.

Nun ist „berechenbar“ ein gefährlich dehnbarer Begriff, wenn es um den rasiermesserscharfen Unterschied zwischen maximaler Schräglage und Krankenhausbett geht, aber im Grunde hat der Ducati-Mann recht: Die Panigale V4 S hat am Gas einen Punch, der einem wie ein Uppercut unter die Rippen fährt. Doch im Vergleich zur alten V2-Panigale oder etwa dem viel aggressiveren V4-Motor von Aprilia ist die V4-Newcomerin weniger ruppig, weniger spitz. Die extrem agile und leichtfüßige Panigale V4 fordert den Fahrer beim Ritt um den Kurs, doch man muss nicht mit ihr kämpfen oder sie bezwingen.

Nach ein paar Erkundungsrunden kann man es sogar schaltfaul und zugleich schneller angehen lassen: Obwohl die V4 sofort auf Fahrerimpulse reagiert, läuft sie, einmal auf Kurs gelegt, stoisch ihre Linie wie Raumschiff Enterprise im Vakuum. Das liegt nicht zuletzt an der optimierten Gewichtsverteilung – während etwa die alte 1098 noch bei 50/50 % lag, hat sich das Verhältnis nun hin zu 54,5 % vorne und 45,5 % hinten verschoben.

Zudem, und das ist weitaus wichtiger, münzt die Panigale V4 ihre 1103 Kubik in eine Drehmomentkurve ohnegleichen um. Sie bewegt sich zwischen 9.000 und 12.000 U/min immer um bärenstarke 120 Nm und liegt wie eine einladende endlose Hochebene vor dem entschlossenen Wanderer. Da ist kein schmaler Pfad, keine Drehzahlnische, die man finden muss, und von der man nicht abkommen darf. Mit der Panigale V4 geht immer was. Kraft ohne Ende, das ist ihr Markenzeichen, und weckt die Magie der Moto GP.

Eine Handvoll Euro für Emotione, pronto …

Ducati Panigale V4 Speciale Modell 2018 Ducati bietet das Fahrzeug in drei Ausführungen an: Die Basisversion Panigale V4 für 21.990 Euro mit Showa-Gabel und Sachs-Federbein sowie die hier gezeigte, in Valencia getestete Panigale V4 S für 27.990 Euro mit Öhlins-Komponenten werden in Ducati Rot mit schwarzen Felgen und einem Sozius-Kit ausgeliefert.

Die Panigale V 4 Speciale kostet 39.990 Euro und kommt dagegen als reine Solo-Maschine mit Tricolore-Farben, Akrapovič-Racing-Auspuff und jeder Menge Karbon- und Alu-Teilen. Die Speciale ist auf 1500 Exemplare limitiert; die Hälfte davon ist bereits vorbestellt. Beeilung also …

Doch klar gesagt: Man kann die Panigale V4 auf der Landstraße fahren, auch in der Stadt. Aber das angestammte Habitat dieses formidablen Sportgeräts liegt auf einem Rennrund; wer sich eine Panigale V4 kauft, sollte sich auch Track Days gönnen. Sonst ist sie verschenkt.

Das erkennt man spätestens, wenn man Alessandro Valia über den Circuit Ricardo Tormo gleiten sieht. Seine Lässigkeit und Eleganz ist dabei so atemberaubend wie die Fähigkeiten des Motorrads: Wenn Valia mit dem Quickshifter durchlädt und die Panigale V4 S um den 4005 Meter langen Kurs prügelt, verliert er nur sensationelle 5 Sekunden auf den 1.31 min-Streckenrekord der MotoGP-Prototypen. Mit einem Serienmotorrad!

 

Technische Daten Ducati Panigale V4 S

  • Motor: Vierzylinder-90°-V-Motor
  • Getriebe: Sechsgang mit Quick Shift up/down
  • Hubraum: 1103 ccm
  • Leistung: 157 kW / 214 PS bei 13.000 U/min
  • Drehmoment: 124 Nm bei 10.000 U/min
  • Höchstgeschwindigkeit: 303 km/h
  • Gewicht trocken/fahrfertig: 175/195 kg
  • Tankinhalt: 16 Ltr.
  • Preis: 27.990 Euro