aus bma 07/06

von Jens-Martin Schäfer

Ducati 998 Bostrom-Replica (Mod. 2002) Es ist doch immer das Gleiche: 6.15 Uhr aufstehen, draußen Nieselregen, dunkelgrau 5°C, arbeiten, wieder zurück. Nächster Tag 6.15 Uhr aufstehen, dunkelgrau…. und ewig grüßt das Murmeltier. Stop!
Träumen wir nicht alle mal von etwas Besonderem, mal so richtig nach vorn, abheben von der Masse, mal so richtig…
Für mich ging der Stern im Motorraduniversum 1993 auf. Sehr schön, aber auch ganz schön weit weg. Es war das Jahr, in dem Ducati die 916er der Öffentlichkeit präsentierte. Unheimlich zierlich und schmal, mit Gitterrohrrahmen, Einarmschwinge und diese gewaltige zwei-in-zwei Auspuffanlage direkt unter dem Sitzhöcker. Der wassergekühlte, mit Einspritzung versehene Motor in L-Form, mit einem stehenden und einem liegenden Zylinder. Dazu diese aus der Formel 1 der 50er Jahre bekannte Aus- und Einlaßventilsteuerung. Ein System, das ohne Ventilfedern auskommt, Desmodromik genannt und gut für hohe Drehzahlen. So bot die 916 schon gut 110 PS bei 9000 U/min. Bei der Entwicklung der 916er Serie kommt man an einem Namen nicht vorbei: Massimo Tamburini.

 

Der Italiener mit dem gewissen Händchen, der es in seiner unnachahmlichen Art nicht nur versteht, Technik zu schaffen, sondern auch noch bildschön zu verpacken. Eine Kombination die, wie wir wissen, nicht immer selbstverständlich ist.
Jahre vergingen, die 916er Serie blieb. Die Technik wurde Jahr für Jahr in Richtung Optimum gefeilt. Es tauchten Materialien auf wie Carbon und im Inneren des Motors auch Titan (bei einigen Modellen). Die Preise fantastisch: Schon in ihrem Erscheinungsjahr kostete die 916er 28.000 DM. An einen Kauf war aus zwei Gründen nicht zu denken: 1. Viel zu teuer und 2. machten Gerüchte von der „italienischen Krankheit” die Runde. Gute Ideen, aber schlechter Service, keine Ersatzteile, lange Lieferzeiten usw., deshalb Finger weg.
Ducati 998 Bostrom-Replica (Mod. 2002) Die Jahre vergingen. Der Renner im Rosso-Corsa Kleid blieb. Im Jahr 2002 war es dann soweit. Es drängte mich zum Händler. Aus der 916er war inzwischen eine 998er geworden. Drei Varianten wurden angeboten: 998, 998 S und 998 R. Meine Entscheidung fiel auf die 998 S mit 136 PS bei 10000 U/min. Durchatmen, rein in den Laden und mein Anliegen vorgetragen, Antwort: „Ausverkauft!”, und noch schlimmer, 2002 sollte zunächst das letzte Produktionsjahr sein. „Das gibt’s doch gar nicht”, dachte ich.
Was tun? Es ließe sich aber vielleicht doch noch etwas machen, man könnte zwar nichts versprechen, aber mal sehen. Ducati hatte im Jahr 2002 zwei Sondermodelle vorgestellt. Eine Bayliss- und eine Bostrom-Replica. Benannt nach den zwei Superbike-Heroen. Beide Maschinen waren in der Ausstellung. Die Bayliss war voll mit Sponsorenaufkleber und nichts für mich. Die Bostrom war anläßlich von fünf aufeinanderfolgenden Siegen des Amerikaners Ben Bostrom in der Superbike-WM 2001 kreiert worden. Das Ganze sieht aus wie eine amerikanische Flagge auf Rädern. Die neue Lage mußte ich erst einmal überdenken. Das Modell paßte zwar. Eine 998 S als Einsitzer und auch noch in limitierter Auflage, für den europäischer Markt auf 155 Exemplare begrenzt. Das Dekor und hauptsächlich der Preis von 23.000 Euro waren doch sehr gewöhnungbedürftig, denn die normale 998 S stand mit rund 3.000 Euro weniger in der Liste. Wofür eigentlich 3000 Euro mehr? Doch wohl nicht nur für Farbe und Aufkleber?
Aber so einfach hat es sich Ducati dann doch nicht gemacht. Die Bostrom hat ein komplett schwedisches Öhlinsfahrwerk inklusive Lenkungsdämpfer. Dazu gibt es noch eine Abdeckplane, einen Aufbockständer und eine Edelstahlplatte mit eingravierter Fahrgestellnummer und laufender Durchnummerierung der Auflage im Schmuckkästchen verpackt.
Nach gut einer Woche war die Entscheidung getroffen – zugreifen. Dann nach weiteren drei Wochen warten, die „Bostrom” wurde aus Süddeutschland beschafft, war es soweit. Ich konnte sie in Empfang nehmen. Zugegeben, ich hatte zwar schon oft auf dieser Kanonenkugel gesessen, aber noch nie eine gefahren. Die Akustik der italienischen Oper war mir bekannt, mechanisch deutlich hörbar, insbesondere die für Ducati üblichen Töne der Trockenkupplung und die bassig klingende Auspuffanlage zeugten bereits von einer dramatischen Ouvertüre.
Also los ging es. Ich ließ die Maschine noch im Laden an und fuhr durch die geöffnete Tür nach draußen. Die Fahrt durch den Feierabendverkehr war recht nervend, hier gilt ganz klar: Wer schön sein will muß leiden. Das Körpergewicht lastet stark auf den Handgelenken, die Kupplung erfordert hohe Bedienungskräfte, der Nacken schmerzt. Nach 15 km endlich in der heimischen Garage angekommen und reif für den Physiotherapeuten. Was für ein Foltergerät! Am nächsten Tag ging es auf die Landstraße. Jetzt kam das Aha-Erlebnis. Die Ducati ist für schnelles Fahren gemacht. Sie fordert eine(n) aufmerksame(n) Fahrer/in mit klarem Verstand. Der Motor läuft ab 3000 U/min rund und läßt sich ganz artig bewegen, nicht hektisch, nicht nervös. Das sechs-Gang-Getriebe ist zwar mechanisch hörbar zu schalten, aber auch zuverlässig und präzise.
Ducati 998 Bostrom-Replica (Mod. 2002) Das wirklich Spektakuläre ist das Leistungsempfinden, objektiv und subjektiv. Geht die Drehzahl über 4000 U/min, dabei ist es nahezu egal in welchem Gang, setzt der Orkan ein. Da gibt es kein Leistungsloch oder gar ein Verschlucken. Überholvorgänge gehen blitzartig, meistens werden drei, vier PKWs in einem Rutsch stehengelassen.
Ja, so hatte ich mir das vorgestellt. Der Winddruck entlastet ab 100 km/h recht gut den Oberkörper, so daß auch die Sache mit den Handgelenken besser wurde. Das Fahrwerk ist ganz klar auf Richtungsstabilität ausgelegt, darum sind auch Kurven mit weiten Radien besser zu fahren als Haarnadelkurven. Die Brembo-Bremsen verzögern gewaltig und verlangen nach einer kräftigen Oberarmmuskulatur, um nicht nach vorn zu schnellen.
Oft fahre ich mit der Ducati auf einer Tour einfach mal so auf einen Parkplatz, um sie mit allen Sinnen zu erfassen. Der Geruch von Gummi, Treibstoffdunst und heißem Öl zeichnet immer wieder eine besondere Note. Dazu kommt die knisternde Edelstahlauspuffanlage, die man ruhig zum Hochglanzpolieren geben sollte, um die Verfärbungen besser genießen zu können. Dies erinnert mich dann immer an einen Tequila-Sunrise-Cocktail.
Einige Worte noch zum Zubehör. Hier geht es zu wie bei Harley. Kaum eine Ducati ist 100% original. Es gibt umfangreiches Material um sich seine Ducati zu bauen. Ducati führt unter dem Begriff „Performance” einen eigenen Katalog, aus dem kräftig ausgesucht werden kann. Dies gilt für technisches, aber auch optisches Zubehör. Darüber hinaus gibt es auch noch zahlreiche andere Hersteller wie z.B. STM und NCR.
Ich habe es gehalten wie beim Eiskunstlaufen. Es gibt ein Pflicht- und ein Kür-Programm. Pflicht ist ganz klar die hintere Radabdeckung aus Carbon. Sieht hübsch aus und schützt das Federbein vor Schmutz (Preis ca. 250 Euro). Die Ölkühlerverkleidung aus Carbon muß auch sein, da das Originalteil lackiert ist und damit steinschlaggefährdet ist (Preis ca. 160 Euro). Wer seine linke Hand schonen möchte, dem sei ein anderer Kupplungsnehmerzylinder empfohlen. Dieser reduziert die Bedienungskräfte der Kupplung deutlich (ca. 150 Euro).
Ansonsten sind die Geschmäcker verschieden. Ich habe mich für ein dreier Material-Mix entschieden: Titan, aus dem vollen gefräste Aluminiumteile und natürlich Carbon. Grundsätzlich sollte aber die Devise sein: Nichts übertreiben, denn die Ducati 998 S Ben Bostrom ist wie sie ist: Eine Schönheit.