aus bma 07/08

von Konstantin Winkler

D-Rad R11 (Bj. 1931) Knapp 12 Jahre lang (von 1921 bis 1932) gehörte eine preußische Waffenfabrik zu den bedeutensten Motorradherstellern Deutschlands. Nach dem 1. Weltkrieg und dem Abkommen von Versailles mußte sich die Firmenleitung der Deutschen Industriewerke in Berlin-Spandau nach einer neuen Produktpalette umsehen. Die Wahl fiel auf den Motorradbau: Die weltberühmten „D-Räder” entstanden. Nachdem sich die ersten Modelle mit längsliegendem, wechselgesteuerten Boxermotor (400 ccm) als zu störanfällig erwiesen, entstanden ab 1924 seitengesteuerte 500er Blockmotoren. Die störrische Blattfedergabel sorgte bald für den Spitznamen „Spandauer Springbock”‘. 1930 begeisterte ein modernes D-Rad die Motorradwelt: Die sportliche R10 hatte nicht nur ein neues Fahrwerk mit Trapezgabel und Satteltank, sondern auch einen neu konstruierten, kopfgesteuerten Motor. Durch die Weltwirtschaftskrise und der damit verbundenen steigenden Arbeitslosigkeit verlief der Verkauf schleppend. 1931 entstand dann das preiswertere seitengesteuerte Tourenmodell R 11. Es sollte das letzte große D-Rad sein.
Von den bisherigen „Springböcken” wurde sowohl bei der R 10 als auch bei der R 11 nichts weiterverwendet. Es handelte sich zwar wieder um einen 500er Einzylinder-Viertakter, aber Motor und Getriebe hingen als einzelne Komponenten im unten offenen Einrohrrahmen. Wie bei den Harleys läuft auch hier eine Kette in einem geschlossenen Kasten zum separaten Getriebe. Drei Gänge stehen dem D-Rad-Fahrer zur Verfügung. Rechts am Tank befindet sich die Schaltkulisse.

 

Die Kraftübertragung erfolgt durch eine Mehrscheibenkupplung mit Korklamellen. Korkkupplungen waren damals sehr beliebt und wurden auch oft verwendet, weil Korke auch im Ölbad greifen. Verölte Kupplungen kann es hier also nicht geben. Leichtgängig und gefühlvoll läßt sich die Kupplung – ebenso wie das eng gestufte Getriebe – bedienen. Das Wechseln der Gänge geht problemlos, ist aber nur selten erforderlich. Einmal in Fahrt gekommen, geht fast alles nördlich vom Großglockner im Dritten – mehr dazu später!
D-Rad R11 (Bj. 1931) Die Motor-Getriebe-Einheit wirkt zwar viel zerklüfteter als bei den alten Blockmotoren, ist dafür aber leistungsstärker: 16 PS bei 4600 Umdrehungen pro Minute. Sehr fortschrittlich war die Umlaufschmierung mit Ölrückförderung durch eine doppeltwirkende Zahnradölpumpe. Diese saß unten im Kurbelgehäuse und bekam den Schmierstoff aus einem zwischen Motor und Getriebe untergebrachten separaten Öltank.
Der Zylinder ist um 30 Grad nach vorne geneigt; Die seitengesteuerten Ventile sind voll gekapselt. Ihre Steuerung erfolgt durch Zahnräder. Alte Liebe zündet immer! Einen wesentlichen Anteil daran hat der zuverlässige Bosch-Magnetzünder, der ebenfalls durch Zahnräder angetrieben wird. Es bedarf schon einiger Übung, dem Triebwerk Töne zu entlocken: Benzinhahn öffnen, Vergaser fluten, Dekompressionshebel ziehen, Kickstarter durchtreten und dabei den Dekohebel im richtigen Moment wieder loslassen. Ein herber Rückschlag, verbunden mit einem blauen Fleck an der Wade, zeigt dem ungeübten Enthusiasten dann unter Umständen, daß das doch alles nicht so einfach ist. Wenn das D-Rad dann ein paar Versuchen und ebenso vielen Fehlzündungen anspringt, lassen heftige Vibrationen und derbe Schläge den Asphalt zittern. 94 Millimeter Hub legt der 82er Kolben zurück, hämmern dabei vehement auf die Kurbelwelle. Vier Takte für ein Halleluja! Langsam schwungmassiert der Motor mit gefühlten 250 Umdrehungen pro Minute. Und nach jeder Kurbelwellenumdrehung fragt man sich, ob er die nächste noch schafft.
D-Rad R11 (Bj. 1931) Was Ausstattung und Ausrüstung betrifft, war das 1931er D-Rad schon ganz modern. Licht und Tacho waren gerade selbstverständlich geworden. Während viele Motorräder noch einen sogenannten „Zweihebel-Vergaser”‘ hatten, also Gashebel und Lufthebelschieber für Daumenbetätigung, war die R 11 serienmäßig mit einem Gasdrehgriff ausgerüstet. Lediglich die Zündung mußte auf der linken Lenkerseite von Hand verstellt werden. Wie es sich für ein Motorrad gehört, bei dem alles für die Bequemlichkeit des Fahrers konstruiert ist, gibt es zwei Radständer: Vorne und hinten. Das war vor der Zeit, als Haupt- uns Seitenständer die Regel wurden. So fortschrittlich dieses Motorrad auch ausfällt, die Federung bleibt auf dem Niveau der 20er Jahre: Starrrahmen, dafür ein gut gefederter Ledersattel und eine Rohr-Trapezgabel mit zwei zentralen Druckfedern sorgen für eine Andeutung von Komfort. Das Fahrwerk der R11 ist schwer, sehr solide und üppig dimensioniert. Während die älteren D-Räder mit Stecktank oben noch zwei Rahmenrohre hatten, geht seit der Einführung des Satteltanks ein dickes Zentralrohr durch selbigen.
Durch den recht kurzen Lenker und die etwas zurückverlegten Fußrasten nimmt der Fahrer fast die Sitzposition eines Rennfahrers ein und wird perfekt ins Bike integriert. Draufsetzen und sich wohlfühlen heißt die Devise.
Es gibt Sammler, deren alte Motorräder zu Stand-Zeugen degenerieren, weil sie es nicht wagen, mit den guten Stücken zu fahren, aus lauter Angst, es könnte etwas schmutzig werden oder kaputt gehen. Andere ziehen eine artspezifische Haltung vor. Die Zeit spielt mit solch einem Vorkriegs-Motorrad keine Rolle. Man ist damit nicht nur unterwegs, um irgendwo anzukommen. So einen Einzylinder fährt man, um zu relaxen und sich vom Massenspiel des gewaltigen, langhubigen Kolbens massieren zu lassen; eine Kur für Körper und Geist.
Selbst mit einem Vorkriegs-Motorrad lassen sich Alpenpässe souverän erklimmen, sofern ein engagierter Alpinist am Lenker sitzt. Absolutes Highlight: Die Großglockner-Hochalpenstraße. Das sind 48 Kilometer jenen Stoffes, aus dem süße Bikerträume gemacht sind. Jede Menge Kurven und Serpentinen, rund 1.500 Höhenmeter mit bis zu 15% Steigung, die sich bis auf 2.571 Meter Höhe hochwinden.
D-Rad R11 (Bj. 1931) Die wuchtigen Reifen der Dimension 4.00-19 garantieren einen tadellosen Geradeauslauf, während die Trapezgabel lückenlos über den Straßenzustand berichtet. Die Lenkung ist direkt und trotz einiger Toleranzen gelingt meist eine hohe Treffsicherheit beim Richtungszielen. Das ist auch wichtig bei Paßfahrten. Auf den engen Serpentinen ist das D-Rad in seinem Element. Von wegen alt und lahm! Drehmoment und Kraft von unten paaren sich mit kontinuierlicher Leistungsentfaltung. Die 16 PS Spitzenleistung bei nur 185 Kilo Leergewicht reichen sogar zum Überholen. Nicht nur von Traktoren und Mofas, sondern von richtigen Autos. Allerdings nur bis etwa 1.800 m Höhe, dann wird die Luft für den Oldie spürbar dünner.
An den Steigungen geht es flott voran, wenn das D-Rad erst einmal richtig in Fahrt gekommen ist. Vorausgesetzt, der Fahrer nutzt die etwa 10 Kilo schwere Schwungmasse geschickt als Energiespeicher aus. Wenn Straße und Kurvenradius enger werden, kann man sogar mit einem Vorkriegsmotorrad Schräglagen fahren. Das Kurvenfahren wird zum spanabhebenden Vergnügen, zum Glück ohne aushebelnde Fußrasten und Auspuff.
Talwärts geht es natürlich wesentlich schneller als bergauf. Manchmal wohl etwas zu schnell, denn die R 11 rächt sich mit laut knallenden Fehlzündungen für die rasante Fahrt. Auf abschüssigen Straßen zittert sich die Tachonadel schon mal an die 80 heran. Dabei vibriert der Lenker so barbarisch, daß man den Eindruck hat, er sortiere dem Fahrer die Handwurzelknochen neu. Längere Gefällstrecken haben auch ihre Tücken, weil die beiden Halbnabenbremsen bald an Leistung verlieren. Nur rechtzeitiges Runterschalten schafft dann die notwendige Verzögerung. Und man muß einkuppeln, bevor der Abgrund naht!
208 Knochen hat das menschliche Skelett. Nach einer längeren Tour mit dem D-Rad kennt man jeden einzelnen davon mit seinem Vornamen. Während andere Motorradhersteller schon ein Zündschloß im Tacho hatten, mußte die R 11 noch wie zur damaligen Jahrhundertwende ausgemacht werden: Durch Ziehen des Dekompressionshebels.
Wenn etwas für die Ewigkeit gebaut ist, hinterlassen die Jahre kaum Spuren. 2.500 Exemplare wurden produziert und für 1.190 Mark verkauft. Gemessen an den anderen Modellen (insgesamt 52.500 einzylindrige D-Räder wurden von 1924 bis 1931 gebaut), haben nicht allzu viele überlebt. Als gutmütige Lastesel – mit und ohne Beiwagen – dürften die meisten zerschunden worden sein. Heute präsentieren sich solche Motorräder als vielbeachtete Exoten im Straßenverkehr. Und das nicht nur am Großglockner.