aus bma 2/09

von Winni Scheibe

Bals BMW RS Kneeler GespannMotorradgespanne vermitteln eine einzigartige Fahrdynamik. Besonders denen, die es gerne ordentlich krachen lassen. Heinz Bals hatte die Idee von einem reinrassigen Renn-Kneeler mit Straßenzulassung. Bei der Suche kam es zum Super-Gau, am Ende standen zwei Renngespanne in seiner Werkstatt. Zumindest mit einem Kneeler fährt er manchmal auf der Straße.

Stammtisch-Abende können ganz schön kreativ sein. Man sitzt mit Freunden zusammen und diskutiert über Motorleistung, Geschwindigkeit und Fahrwerkskonstruktionen. Es werden Erfahrungen ausgetauscht, technische Lösungen mit einem Kuli auf einen Bierdeckel skizziert. Nichts scheint unmöglich. So oder ähnlich muss es im Oktober 1986 im Gasthaus „Zum Krug” in Cammer bei Minden/Westfalen gewesen sein. Zu später Stunde hatte Heinz Bals die Idee von einem Kneeler-Renngespann mit Straßenzulassung. Kompromisslos sportlich versteht sich, flach wie eine Flunder, mit wenig Luftwiderstand, tadelloser F1-Straßenlage, aber mit solider BMW-Boxertechnik. Die Stimmung überschlug sich, jeder wußte besser, wie es angefangen werden sollte. Im Geiste stand der Kneeler mit Nummernschild und TÜV-Stempel schon vor ihnen.

Oft sind solche „Geistesblitze” am nächsten Morgen Schnee von gestern, die farbigen Träume versinken in der grauen Realität. Nicht bei den Freunden von Heinz Bals. Mit in der Runde saß damals auch Peter Schröder. Gut 15 Jahre lang war der Ebsdorfer in der WM, bei der TT und bei internationalen Seitenwagenläufen als Rennmechaniker aktiv. In seinem Adressbuch lassen sich die Namen von Siegfried Schauzu, Georg Auerbacher, Klaus Enders, Dieter Busch, Rolf Steinhausen, Lorenzo Puzo, Egon Schons und so weiter finden. Keiner fehlt. In den nächsten Tagen startete er einen groß angelegten Rundruf, fragte seine alten Rennfahrerfreunde ab, ob jemand wisse, wer einen Renn-Kneeler zum Verkauf stehen hat. Jedes dieser Gespräche dauerte eine Ewigkeit. Man sprach über die guten alten Zeiten, nur helfen konnte keiner. Völlig aussichtslos, so etwas zu bekommen, war immer wieder die Antwort.

Bis ganz zum Schluss Dieter Busch an der Reihe war. Mehr nebenbei erwähnte der legendäre Gespannkonstrukteur, dass das letzte BMW RS-Gespann von Multi-Weltmeister Klaus Enders in Neumarkt in der Oberpfalz steht, und dass die Frau des verstorbenen Ex-Seitenwagenfahrers und Gespann-Besitzers Baptist Kohlmann es gerne verkaufen möchte.

 

Bals BMW RS Kneeler Gespann„Damals waren wir geistig voll auf unser Vorhaben eines Renngespanns mit einer Straßenzulassung fixiert. Das Enders-Gespann schien eine gute Basis und so vereinbarten wir gleich für die nächsten Tage einen Besuchstermin”, erinnert sich Heinz Bals an die damalige Situation. „Als uns Frau Kohlmann und ihr Sohn die RS zeigte, verschlug es uns den Atem. Wir standen vor dem berühmtesten Renngespann aller Zeiten. Abgesehen von der Lackierung war die Königswellen-RS im absoluten Originalzustand. Ich konnte es kaum fassen. Für mich war dieses Gespann ein technisches Heiligtum, ich wagte es kaum es anzufassen. Wir erzählten von unserer Idee und waren uns schnell einig, dass für dieses Vorhaben das WM-Gespann viel zu wertvoll sei.” Baptist Kohlmann junior wußte allerdings eine Alternative. Aus der Hinterlassenschaft des Vaters hatte man noch einen weiteren Kneeler. „Es war eine Blum-BMW mit Muthig-Motor und Münch-Rennbremse im Vorderrad.” „Genau so etwas suchten wir ja,” erinnert sich Bals. „Auch der Preis stimmte. Bevor wir uns aber verabschiedeten, schaute ich mir noch einmal das WM-Gespann an und fragte, ob ich mich mal draufsetzen dürfte. Was in diesem Moment in mir vorging, lässt sich kaum beschreiben. Plötzlich war ich mir sicher: Die oder keine. Gesagt habe ich davon allerdings nichts, ich bat mir eine Bedenkzeit aus, und wir traten den Heimweg an.”

Die Fahrt wurde zur Ewigkeit. Beide Gespannfans saßen stumm nebeneinander, jeder grübelte vor sich hin. Zwischen Fulda und Kassel fuhr Heinz Bals an eine Raststelle, telefonierte kurz mit Frau Kohlmann und sagte dann zu seinem Freund Peter: „Ich habe das Enders-Gespann gekauft.” Sie reichten sich die Hände und wussten, so eine Chance bekommt man nie wieder. Das war wie gesagt im Oktober 1986. Der siegreiche WM-Kneeler bekam, so wie er war, einen Ehrenplatz im Wohnzimmer, und der Traum vom Gespann mit Straßenzulassung war für Heinz Bals ausgeträumt. Vorerst jedenfalls.

Bals BMW RS Kneeler GespannDas Faible für Renngespanne kam bei Heinz Bals nicht von ungefähr. Der ehemalige Hubschrauber-Mechanikermeister und Zeitsoldat hatte sich im Sommer 1981 mit seiner Motorradreparaturwerkstatt „HBS”, Heinz-Bals-Sport, im Bückeburger Ortsteil Cammer selbstständig gemacht. Neben der neuen beruflichen Herausforderung, sein Fachgebiet waren vornehmlich klassische BMW-Boxer-Maschinen, nahm die HBS-Gespannbau und -fahrerei weiterhin einen festen Platz ein. Zwischen 1978 und 1992 war der hartgesottene Dreiradpilot insgesamt 14 mal bei der Kristall-Rallye in Norwegen, bei der es im Januar bis zu 40 Minusgrade kalt werden kann. „Diese Winterrallye gehört sicherlich zu den anspruchsvollsten, aber auch schönsten Gespannfahrertreffen in der Szene. Dort lernt man auch das Driften für die Rennstrecke”, schwärmt der Boxer-Experte noch heute von den Ausflügen nach Skandinavien.

Im Sommer 1988 erfuhr der Westfale von den Rennen für zugelassene Straßengespanne bei „Moto aktiv”, einem jungen Motorrad-Club, der damals allerhand Veranstaltungen auf die Beine stellte. Gleich beim ersten Gespannrennen seines Lebens fuhr er auf den vierten Platz. Jetzt war der Rennbazillus vollends auf ihn übergesprungen und für die Saison 1989 gab er für alle Läufe seine Nennung ab. Hinter Manfred Bernsee auf einem haushoch überlegenen Yamaha FJ 1100 Vierzylinder-Gespann belegte der schnelle Dreiradlenker mit seiner Boxer-BMW den zweiten Platz in der Gesamtwertung. Dieser Erfolg war beachtlich, trotzdem wurmte es ihn gewaltig, und der Plan vom straßenzugelassen Renn-Kneeler stand plötzlich wieder zur Diskussion. Ende 1989 wurde man in Berlin fündig, ein Ex-Schauzu-Gespann mit Busch-Monocoque-Chassis wechselte den Besitzer. Das flache Kneeler-Fahrwerk erhielt einen 1000er BMW-Boxer-Motor sowie sämtliche Ausstattung für eine Straßenzulassung. Die TÜV-Abnahme war dann nur noch eine Formsache. In der Saison 1990 wurde bei Moto aktiv dann fast alles gewonnen, was es zu gewinnen gab. Beflügelt von dieser Erfolgsserie ging es mit breiten Slick-Reifen und einem auf gut 100 PS getunten Boxer-Motor 1991 im OMK-Pokal an den Start. Mit fünf Siegen und vier zweiten Plätzen konnte sich Heinz Bals mit seinem Beifahrer Roland Dehne am Ende der Saison als Gespann-Champion feiern lassen. Nach einem kostspieligen Ausflug in die DM mit einem Zweitakt-Gespann hat der gebürtige Schwarzwälder Ende 1992 zu Gunsten seines Betriebes die Rennkombi an den berühmten Nagel gehängt. Nun zurück in sein Wohnzimmer.

Bals BMW RS Kneeler GespannDieter Busch griff ganz tief in die Trickkiste und baute aus dünnem, nur 1 mm starkem Flugzeugstahl ein filigranes einteiliges Monocoque-Chassis, den 500 ccm RS-Motor tunte er auf standfeste echte 67 PS. Räder und Bremsanlage entstanden parallel in der Werkstatt von Klaus Enders. Da man sich bei BMW jedoch recht spät für das Engagement entschieden hatte, wurde das neue Gespann erst zum dritten WM-Lauf auf dem Salzburg-ring fertig. Lohn der Mühe: Gleich der erste Sieg. Es folgten noch drei weitere und am Ende der Saison waren Enders/Engelhardt natürlich BMW Gespannweltmeister.

Das Jahr 1973 ging in die Geschichte ein. Mit dem perfekt vorbereiteten Spezial-Kneeler legten die amtierenden Weltmeister bei sieben GP-Starts in Folge sieben Siege aufs Parkett. Für das Team Enders/Engelhardt/Busch war es der fünfte und für BMW der 18. Gespann-WM-Titel. Ab 1975 waren die Zeiten der kernigen Viertakt-Motorräder in der Straßenweltmeisterschaft endgültig vorbei. Auch in den großen Kategorien diktierten fortan quickfidele Zweitakter das Geschehen. Die ruhmreiche Viertakt-Ära in der Königs-Klasse beschloss 1974 Phil Read auf der 500er MV Agusta mit dem WM-Titel und bei den Gespannen waren es Enders/Engelhardt mit der BMW RS. Das Gespann verkaufte Klaus Enders Ende 1974 an Baptist Kohlmann in Neumarkt, er suchte sein Glück im OMK-Pokal. Klaus Enders und Ralf Engelhardt beendeten gleichzeitig ihre unvergleichliche GP-Karriere.

Bei Heinz Bals stand der Super-Kneeler gut achtzehn Jahre im Wohnzimmer. Fein säuberlich geputzt, poliert und konserviert, eben wie es sich für ein technisches Kunst- und Kulturgut mit drei WM-Titeln gehört. Bestückt mit dem berühmten, originalen BMW Kurzhub-RS Motor, der 1973 bei fünf GP-Läufen die Siege und die schnellsten Runden einfuhr. Motor und Getriebe waren von dem besten RS-Spezialisten und Meistertuner Dieter Busch auch schon generalüberholt worden, genau in dem Zustand, als wenn Klaus Enders zum nächsten Grand Prix fahren wollte.
„Die RS war einfach da, kaum noch aufregend, und der Motor hat bei mir noch nie gelaufen. Doch dann sah ich die Sache mit anderen Augen. Inzwischen gab es hochkarätige Oldtimer-Veranstaltungen mit sehenswerten Werksmaschinen und vielen ehemaligen Weltmeistern. Auch das BMW-Werk bekundete sein Interesse, und so habe ich zwischen 2004 und 2005 das Gespann fertig restauriert”, beschreibt Heinz Bals seinen Gesinnungswandel.
Grundsätzlich sind kostbare Renn-Oldtimer für den Gespannliebhaber erst dann wirklich interessant, wenn sie auch einwandfrei fahrtüchtig sind. Der Motor muss tadellos laufen und bei gewissen Anlässen müssen für Demonstrationszwecke Ehrenrunden auf Rennstrecken möglich sein.

Bals BMW RS Kneeler Gespann„Für mein Enders-Gespann hatte ich diesen Anspruch bisher kategorisch abgelehnt. Für Veteranenrennen war mir der Weltmeister-Kneeler viel zu wertvoll und das Risiko, dass etwas kaputt geht, war einfach zu groß. Gerade wenn man bedenkt, dass nur noch dieses eine originale Siegergespann von 19 BMW-Weltmeistertiteln übrig geblieben ist”, so Heinz Bals.

Nachdem der Kneeler technisch rundherum gecheckt war, galt zum Abschluss das Augenmerk der Lackierung. 1972 war die Verkleidung zunächst in der Grundfarbe Gelb mit Blau lackiert. Später folgten die BMW-Motorsport-Farben Weiß-Blau-Rot. 1973 wurde die ganze Saison in diesem Design gefahren. Als sich BMW 1974 aus dem GP-Sport zurückgezogen hatte, starteten Enders/Engelhardt unter dem H.B.M.-Logo. Hinter dieser Abkürzung steckte als Sponsor der Frankfurter BMW-Händler Gert Heukerott. Und H.B.M bedeutete „Heukerott-Busch-Motor”. Die Verkleidung war in diesem Jahr Weiß mit rot-gold-schwarzen Dekorstreifen lackiert.

„Für mich kam als Lackierung nur das BMW-Design von 1973 in Frage”, verrät der Perfektionist. „Um das Gespann original lackieren zu können, half der Zufall. Von einem damaligen Rennfan bekamen wir tolle Farbfotos als Vorlage, und von der Mobilen Tradition in München drei Liter Original-Farbe.”

Pünktlich zur Classic-Parade 2005 in Spa war das WM-Gespann startklar. Inzwischen hat Heinz Bals das Prachtstück bei Oldtimer-Veranstaltungen in Schleiz, Oschersleben und Schotten einem interessierten Publikum zugänglich gemacht. Dass er der Besitzer ist, ist kein Geheimnis, längst hat es sich unter Insidern herumgesprochen. „Vor Wochen bekam ich sogar ein Angebot aus Japan. Ein Sammler wollte die WM-RS kaufen. Bei dem gebotenem Preis bin ich schwach geworden. Doch ein paar Tage später zog er sich vom Vertrag zurück”, lässt Heinz Bals wissen und deutlich spürt man seine Erleichterung.

Im Prinzip soll das Gespann in Deutschland bleiben. Die RS ist ein technisches Kulturgut, eine Ikone und ein Denkmal der deutschen Gespann-Historie. Der würdigste Platz wäre für den WM-Kneeler das neu restaurierte BMW-Museum in München. Denn da stand das Siegergespann schon einmal bei der Museumseröffnung 1973 für 14 Tage zwischen den Ahnen aus der Vorzeit. Diese Epoche mit 19 Seitenwagen-WM-Titeln ist in München noch unzureichend gewürdigt. Und damit auch die Fans an den Rennstrecken etwas davon haben, könnte zum Beispiel zu besonderen Anlässen die BMW Mobile-Tradition den Kneeler entsprechend präsentieren. Am besten zusammen mit dem hessischen WM-Team Klaus Enders, Ralf Engelhardt und Dieter Busch. Vergessen sind die Seitenwagen-Helden nämlich noch lange nicht. Und für ein Erinnerungsbild stehen manche Fans sogar an.