Hessen nutzt die BMW R 900 RT als Polizeimotorrad. Eine der wenigen nordhessischen Streifenpolizistinnen auf einem Motorrad ist Bettina Stippich …
aus Kradblatt 8/15
Text & Fotos: Winni Scheibe
www.winni-scheibe.com
Auf Streife mit POK Stippich
BMW Motorräder sieht man bei uns fast an jeder Ecke. Bei fast 25 Prozent Marktanteil kein Wunder. Behörden vertrauen auf die Boxer-Maschinen. In Hessen wurden 100 BMW R 900 RT seit Ende 2010 in den Dienst gestellt. Eine der wenigen nordhessischen Streifenpolizistinnen auf einem Motorrad ist Bettina Stippich.
Polizisten kennt eigentlich jeder. Entweder aus irgendeiner Krimiserie, aus dem Bekanntenkreis oder von der letzten Verkehrskontrolle. Doch sind wir mal ganz ehrlich, wer weiß eigentlich noch genau, wann er das letzte Mal von unseren Ordnungshütern angehalten wurde. Und wer als Motorradfahrer nicht ausgerechnet mit Krawall und Karacho die Landstraßen mit einer Rennstrecke verwechselt, wird im Prinzip gut über die Runden kommen.
Polizeioberkommissarin Bettina Stippich lacht: „Viele Motorradfahrer haben ihre wilden Zeiten ja längst hinter sich. Die Herrschaften fahren gesittet, cruisen mit ihren schweren Maschinen gemütlich durch die Landschaft. Groß in Mode gekommen ist das Gruppenfahren. Wenn sich alle an die Spielregeln halten und dabei keine anderen Verkehrsteilnehmer behindert oder gefährdet werden, kann nichts schiefgehen. Bei Ausfahrten im Konvoi hat sich allerdings eine dumme Marotte eingebürgert. Damit der Tross schön zusammen bleibt, sperren einzelne Motorradfahrer aus der Gruppe bei Einmündungen und Querstraßen, aber auch bei Ampelkreuzungen, den Verkehr ab. Dabei passiert es immer wieder, dass die letzten Fahrer bei Rot voll über die Kreuzung brettern. Diese Fahrbahnsperrung ist ein regelnder Eingriff in den fließenden Verkehr, der ausschließlich der Polizei vorbehalten ist und bei Anzeige strafrechtlich verfolgt wird.“
„Ich bin gerne Polizeibeamtin und würde diesen Beruf immer wieder wählen.“ Unumwunden gibt Bettina Stippich zu, dass Polizistin schon immer ihr Traumberuf war. Kaum zehnjährig hatte sie erlebt, wie die Polizei ihrer Familie einmal geholfen hatte. Die Beamten waren dabei sehr freundlich und hilfsbereit, was ihr damals mächtig imponierte. Anders als ihre gleichaltrigen Freundinnen, die Krankenschwester, Tierärztin oder Schlagersängerin werden wollten, beschloss Bettina Polizistin zu werden und erzählt: „Meine Eltern haben dieses Vorhaben nie als kindliche Träumerei abgetan und versucht, mir diesen Berufswunsch auszureden. Ganz im Gegenteil. Als es soweit war, haben sie mich voll unterstützt. Auch, als ich mit 14 Jahren eine Mofa fahren wollte (Anmerk. der Redaktion: damals gab es in Hessen eine Sonderregelung), haben sie mir diesen Wunsch erfüllt. Nie werde ich das Gefühl vergessen, wie es war, einfach losfahren zu können, das Visier zu öffnen und den Fahrtwind im Gesicht zu spüren. Es war das Glück meiner ganz persönlichen Freiheit. Dafür bin ich meinen Eltern bis heute dankbar.“
Nach dem Schulabschluss ist die bekennende Motorradfahrerin seit 1987 bei der Polizei und versieht seit 2001 ihren Schichtdienst bei der Polizeistation Wolfhagen in Nordhessen. Schichtdienst bedeutet 12-Stunden Tagdienst von morgens 7 Uhr bis abends 19 Uhr. Am Folgetag geht es in die 12-Stunden Nachtschicht von abends 19 Uhr bis morgens 7 Uhr. Danach sind in der Regel drei Tage frei. „Es kann allerdings vorkommen, dass es zum Beispiel nach der Nachtschicht durch Dienstplanumstellung oder einen Sondereinsatz wenig später gleich weiter geht. Zwischen den beiden Dienstzeiten müssen jedoch sechs Stunden Pause liegen. Man fährt nach Hause, isst etwas, legt sich hin, macht sich frisch und fährt wieder zum Dienst. Da kann sich jeder ausrechnen, wie viel Zeit zum Schlafen bleibt“, gibt die sympathische Polizeioberkommissarin zu Protokoll.
Für das Führen aller Dienstfahrzeuge muss ein separater Führerschein gemacht werden. Seit Anfang 2000 fährt Bettina Stippich mit dem Motorrad Streife. Bis zum Frühjahr 2011 war es die BMW K 75, die inzwischen von der BMW R 900 RT abgelöst wurde. Der Dienstbezirk der Polizeistation Wolfhagen umfasst drei Städte, drei Großgemeinden mit 35 Stadt- und Ortsteilen und rund 35.000 Einwohnern. Für den reibungslosen Betrieb der Polizeistation Wolfhagen sorgen fünf Dienstgruppen, eine Ermittlungsgruppe sowie die Dienststellenleitung mit insgesamt 40 Beamten.
„Dienstlich war mir die BMW K 75 mit ihren Stärken und Schwächen schon fast ans Herz gewachsen. Doch die neue R 900 RT kann einfach Einiges viel besser. Um mich mit der neuen Maschine schneller vertraut zu machen, habe ich zum Saisonstart ein dreitägiges Sicherheitstraining bei der Hessischen Polizeiakademie belegt. In puncto Handling, Fahrkomfort, Bremsleistung und Ausstattung ist die R 900 RT der K 75 deutlich überlegen. Dazu kommt die moderne, frische Optik“, lautet die fachkundige Auskunft.
Nordhessen ist ein Eldorado für Motorradfahrer. Im Vergleich zu Kassel oder Frankfurt ist das Verkehrsaufkommen deutlich geringer, der Wolfhagener Dienstbezirk darf als ländlich bezeichnet werden. Dafür lässt sich in der Saison bei schönem Wetter in der Woche nach Feierabend, aber besonders am Wochenende und an Feiertagen, der Eindruck gewinnen, dass mehr Bikes als Autos unterwegs sind. Zwar gibt es im Landkreis Wolfhagen keine so bekannten Biker-Treffs wie den Zündstoff am Edersee oder das Fährhaus am Diemelsee, auch gibt es keine Motorrad-Applauskurven für Schaulustige, doch ganz gleich ob die Biker aus Richtung Kassel in die Waldecker- oder Sauerland-Gegend wollen oder wieder heimfahren, meist durchqueren sie den Wolfhagener Dienstbezirk.
„Prinzipiell lässt sich sagen, dass die extremen Heizer in der Minderheit sind. Das Gros sind Tourenfahrer, oder wie bereits erwähnt Gruppenreisende. In den Sommerferien sind viele Holländer mit gelben Warnwesten unterwegs. Für Kontrollen gibt es selten Anlass und wenn, dann eher ganz anderer Natur“, referiert die Streifenpolizistin. „Für Motorradfahrer sind Kurven ja bekanntlich das Salz in der Suppe. Manchmal lässt sich beim Hinterherfahren beobachten, wie einige ganz eckig durch Kurven balancieren. Würde es sich um einen Autofahrer handeln, läge der Verdacht nahe, dass der Fahrer unter Alkohol- oder Drogeneinfluss steht. Doch betrunkene oder bekiffte Biker sind die Ausnahme, bei uns jedenfalls.
Wird der Motorradfahrer zu einer verdachtsunabhängigen Kontrolle angehalten, zeigt sich meist, dass es sich um einen ergrauten Wiedereinsteiger handelt, der sofort zugibt, dass ihm noch die nötigte Fahrpraxis mit seinem nagelneuen gut 180 PS starken Super-Bike fehlt. Bei anderen liegt es aber oft an etwas ganz anderem. Ein Blick auf die bis fast auf die Fahrbahn durchhängende Antriebskette zeigt, in welch technischem Zustand die ansonsten picobello gepflegte Maschine ist. Dann frage ich, wann zum letzten Mal Luftdruck kontrolliert wurde und ob man mir aus dem Kopf sagen kann, wie viel Luftdruck in die Reifen gehört. Spätestens jetzt werde ich wie von einem fremden Stern angeschaut. Die Antwort ist fast immer gleich, das Motorrad war im letzten Herbst oder gerade im Frühjahr vor Saisonstart zur Inspektion. Es ist sicherlich nicht die Aufgabe der Polizei, Technikchecks bei Motorrädern durchzuführen. Doch eins weiß ich genau, wie wichtig für die Fahrsicherheit der exakte Luftdruck ist.“
Mögen alte Windgesichter über diese Episode schmunzeln, eine andere Fakultät kann einen ins Grübeln bringen. Gemeint ist die jugendliche Rasselbande mit ihren Mofas und Mokicks. „Kaum einer dieser nur bis 25 beziehungsweise 45 Stundenkilometer zugelassenen Flitzer ist nicht frisiert. Die Tuningteile gibt es portofrei im Internet, die Anbieter versprechen vielfach eine Steigerung der Spitzengeschwindigkeit auf 60, 80 oder gar 100 km/h. Stoßen wir bei Verkehrskontrollen auf solche Renner, wird das Fahrzeug sofort sichergestellt und der Künstler läuft zu Fuß nach Hause. Wird ein Verfahren in Gang gesetzt, kann ein ordentliches Bußgeld fällig werden. Auch kann es passieren, dass der Führerschein für das begleitete Fahren ab 17 nicht mehr möglich ist. Für die Kids eine teure und bittere Erfahrung.“
Polizisten, die in ihrer Freizeit Motorrad fahren, sind längst keine Ausnahme mehr. Privat besitzt Bettina Stippich eine große Suzuki Bandit, sie kommt auf gut 10.000 km pro Jahr. Fast schon zur Tradition gehört einmal im Jahr eine mehrtägige „dienstfreie“ Ausfahrt mit rund 50 Kollegen vom Polizeipräsidium Nordhessen. Dann sind die Polizeibeamten Motorradfahrer, führen Benzingespräche, genießen das Gruppenerlebnis
und planen den Ausflug
für das nächste Jahr.
BMW Behördenfahrzeuge
Behördenmotorräder haben einen festen Platz im BMW Angebot. Seit 1970 wurden über 130.000 Maschinen weltweit in rund 150 Länder ausgeliefert. Überwiegende Abnehmer sind Polizei, aber auch Rettungsdienste, Rotes Kreuz und Feuerwehr. Die BMW-Behördenmaschinen sind keine nachträglich umgerüsteten Serienmotorräder. Im Werk Berlin ist eine eigene Entw.-Abteilung beheimatet, und die Fertigung der Sondermodelle R 900 RT und R 1200 RT erfolgt auf einem sep. Produktionsband. Auch ein Teil der behördenspezifischen Anbauteile wird in Berlin entwickelt. Für den Vertrieb und die Betreuung ist eine eigene Abteilung am Stammsitz in München zuständig.
Ein Großteil der belieferten Länder hat exakte Vorgaben was Leistung, Hubraum und Ausstattung betrifft. Für diese Staaten wurde speziell die 83 PS starke und 259 kg schwere R 900 RT entwickelt. Im offiziellen Kundenangebot taucht dieses 900er Modell allerdings nicht auf. Andere Länder ordern wiederum vorrangig die R 1200 RT, so auch die deutschen Behörden. Bis auf eine Ausnahme, seit Ende 2010 ersetzte die hessische Schutzpolizei ihre lang gedienten BMW K 75 Kräder nach europaweiter Ausschreibung gegen die BMW R 900 RT. Insgesamt 100 dieser in der Farbe blau/silber gehaltenen BMW Boxer-Maschinen stehen nun im hessischen Streifendienst.
Daten BMW Behörden-Polizeimotorrad R 900 RT
Leistung:
61 kW/83 PS bei 7.250/min, maximales Drehm. 83 Nm bei 5.500/min
Motor:
Luft-/ölgekühlter Zweizylinder-Viertakt-Boxermotor, zwei Nockenwellen und vier Ventile pro Zylinder, Bohrung x Hub 73,0 x 87,5 mm, Hubraum 878 ccm, Verdichtung 11:1, elektrische Saugrohreinspritzanlage, digitales Motormanagement, G-Kat, hydraulisch betätigte Einscheiben-Trockenkupplung, Sechsganggetriebe, Endantrieb per Kardan
Fahrwerk:
Stahlrohr-Gitterrahmen, BMW-Telelever, Standrohrdurchmesser 35 mm, Zentralfederbein, Federweg 120 mm, Aluguss-Einarmschwinge BMW-Paralever, Zentralfederbein, Federvorspannung und Dämpferzugstufe einstellbar, Federweg 135 mm. Vorne Doppelscheibenbremse, Ø 320 mm, 4-Kolben-Festsattel, hinten Scheibenbremse, Ø 265 mm, 2-Kolben-Schwimmsättel, ABS. Vorderreifen 120/70ZR17, Hinterreifen 180/55ZR17. Tankinhalt 25 Liter, Gewicht ohne Behördenausstattung 259 kg. Zulässiges Gesamtgewicht 495 kg, Kraftstoffsorte Superplus Benzin bleifrei (95 ROZ), Höchstgeschwindigkeit 195 km/h
Behördenausstattung:
Für Eskorten-Einsätze und Fahrtempo in Schrittgeschwindigkeit kurz übersetzter erster Gang, elektrisch verstellbares Windschild, Zusatzbatterie, Lüfter für Motorkühlung, vorne verstärktes Federbein, Motor-Sturzbügel, hinten Sturzbügel um die Behördenkoffer, Nebelschlussleuchte, Spritzschutz hinten, Sirene mit integriertem Lautsprecher, hinten LED-Rundumblitzkennleuchte, vorne zwei LED-Blitzkennleuchten, Topcase für Funkausrüstung, Info-Display, Griffheizung, Bedienung links am Lenker für Steuerung des Funkgerätes per Satellitenschalter, Schalter für Lautsprecher und Signalton, Bedienung rechts am Lenker für Blitzkennleuchten
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