aus Kradblatt 7/18
von Frank Sachau

Motorradtour ins Biosphärenreservat Rhön …

Auf dem Kreuzberg - Motorradtour Rhön

Im Herzen Deutschlands ragt das facettenreiche Mittelgebirge Rhön in die Höhe: Unter einem sommerlichen Himmel grenzenlos touren über die weiten Ebenen und sanften Kuppen im Land der offenen Fernen.

Spontanität will gut überlegt sein! Heute schwanke ich zwischen einem entspannten Tag am hoteleigenen Schwimmteich und einer kurvenreichen Tour über die Kuppen der Rhön. Kaum habe ich Mellrichstadt verlassen, empfinde ich die Entscheidung, meinem Bayernboxer etwas Auslauf zu verschaffen, als goldrichtig. Die wohlgeformten Rhönrundungen tauchen vor meinem Lenker auf, als ich nach Filke abbiege. Matthias, der Sturm-Wirt, kennt die Gegend wie seine Westentasche und gab mir den Tipp, nach Schmerbach „rüberzumachen“. Am Beginn der mittelstreifenlosen Trasse weist ein Schild darauf hin, dass es sich hier nur um eine Verbindungsstraße handelt, die weder geräumt, noch gestreut wird! Macht nichts, wir haben Hochsommer und mein Bordthermometer zeigt schon 23 Grad im Schatten an, da dürfte längst kein Schnee mehr liegen. Der verschlungene Weg hat Ähnlichkeit mit einem Schmugglerpfad, kein Wunder, war doch bis zur Wiedervereinigung die freie westliche Welt hier zu Ende. Ein Gedenkstein erinnert an den Weiler Schmerbach, der 1973 auf Befehl der SED-Parteiführung von der Landkarte getilgt wurde, weil der Ort zu nahe am bösen Klassenfeind lag.

Rother Kuppe - Motorradtour Rhön Guten Morgen Thüringen! Beim zweiten Blick auf die Straßenkarte muss ich schmunzeln, weil meine Route durch Helmershausen, Stepfershausen, Oepfershausen und Hümpfershausen führen soll. Das lässt Langeweile vermuten, doch genau das Gegenteil ist der Fall: Auf einer herrlich geschwungenen und unerwartet steilen Passage erklimme ich den über 700 Meter hohen Gebaberg und genieße dabei ganz großes Landschaftskino. So alt wie die Streckenführung scheint auch das historische Hinweisschild zu sein, das ich später im Vorbeiflug entdecke. Ganz geschickt in eine steinerne Bank integriert, liefert es völlig ohne Strom immer verlässliche Informationen, jedenfalls solange es hell ist. Erinnerungen an italienische Bergdörfer werden in mir wach, als ich die GS durch die verwinkelten und engen Orte tanzen lasse. Dann strebe ich nach Vacha, dem nördlichen Wendepunkt meiner Tour. 

Schattig und angenehm kühl geht es am rechten Berghang entlang, während knuffiger Teer unter meinen Pneus rumpelt. Deutlich breiter und komfortabler spult sich wenig später die „Erlebnisstraße der Deutschen Einheit“ vor mir ab, Ziel ist das Haus auf der Grenze.

Point Alpha - Motorradtour Rhön Ausgeschildert ist der bekannte „Point Alpha“, doch vorerst lässt mich eine mit Blicken, Steigungen und Kurven gesegnete Anfahrt das 2003 eröffnete Haus auf der Grenze erreichen. Die Bezeichnung kommt nicht von ungefähr, steht das Gebäude doch direkt auf dem ehemaligen Kolonnenweg, einem befestigten Fahrstreifen der DDR-Grenztruppen in unmittelbarer Nähe zum sogenannten antiimperialistischen Schutzwall. In sehenswerten Ausstellungen wird das Leben und Leiden der Thüringischen Bevölkerung an und mit der innerdeutschen Grenze eindrucksvoll dargestellt. Wie nahe wir einem dritten Weltkrieg waren, wird mir bewusst, als ich ein paar Schaltvorgänge später am US-Beobachtungsstützpunkt Point Alpha Halt mache, dem heißesten Punkt des kalten Krieges.

Panzersperre am Point Alpha - Motorradtour Rhön Nach dem Zerfall der Anti-Hitler-Koalition und der Blockbildung von Nato und Warschauer Pakt gingen Strategen davon aus, dass ein Angriff auf Westdeutschland mit starken sowjetischen Panzerverbänden im nahen Fulda erfolgen würde. US-Truppen schufen den Stützpunkt Point Alpha und waren dort in ständiger Gefechtsbereitschaft, um beim ersten Anzeichen einer gegnerischen Mobilmachung Alarm auszulösen. In Steinwurfweite, nur durch den Grenzzaun getrennt, lagen die Einheiten der Volksarmee in Stellung. Mit der gewaltfreien Wiedervereinigung beider deutscher Staaten und der Abrüstung der Weltmächte wurde 2005 der Point-Alpha-Preis für friedliche Konfliktlösungen aus der Taufe gehoben. Zu den ersten Preisträgern zählten die Macher der deutschen Einheit: George W. Bush senior, Michail Gorbatschow und Helmut Kohl. Glück gehabt, denke ich und schwinge mich wieder in den Sattel, drücke den Anlasserknopf, lege den ersten Gang ein und fahre los – in Freiheit.

Nur für einen kurzen Moment bin ich auf der B 84 unterwegs, ehe ich wieder dem Reiz der Nebenstrecke erliege. Die Etappe über Hofbieber bis Dipperz entpuppt sich als Bikers Paradise: Auf tadellosem Teer wieselflink durch übersichtliche Kurven kratzen. 

Ein paar Kilometer östlich liegt das kleine Nest Brand, von hier aus scheuche ich meine Adventure zur Fuldaquelle am Südhang unterhalb der Wasserkuppe. Im Halbschatten gluckert kristallklares, eiskaltes Nass aus dem Quellbrunnen, das ich mir an diesem heißen Rhönsommertag nur allzu gern ins Gesicht spritze. Erfrischt erreiche ich die nur wenige hundert Meter entfernte Wasserkuppe und klappe an den kostenlosen Motorradparkplätzen vor dem Luftsportzentrum den Seitenständer aus. Kaum sind Jacke und Helm in den leeren Aluboxen verstaut, mache ich mich auf den Weg zum 950 Meter hohen Gipfel. Nach rund 15 Minuten stehe ich an der riesigen Radarkuppel, dahinter tut sich ein fantastisches Panorama bewaldeter Rhönkuppen auf. Nur ein paar Schritte noch und ich erreiche das am Westhang gelegene historische Fliegerdenkmal. 1923 wurde ein imposanter Bronzeadler aufgestellt und eine Tafel angebracht, auf der an jene erinnert wird, „die im Frieden und im Kriege im Kampf um die Eroberung der Luft ihr Leben gewagt und eingesetzt, mit ihrem Tode ihr Streben besiegelt haben“. 

Fliegerdenkmal auf der Wasserkuppe - Motorradtour Rhön Ein Sirren lässt meinen Blick in den blauen, fast wolkenlosen Himmel wandern, ein eleganter Segelflieger kurvt über mir und sucht nach Thermik, aufsteigender Warmluft. Vor rund hundert Jahren fanden auf der Wasserkuppe erste Flugversuche statt. Die einfachen Gleiter wurden von starken Männern an langen Seilen den Hang hinabgezogen, bis sich das primitive Luftfahrzeug für ein paar Meter vom Boden löste. Nach und nach wurden die Apparate verbessert, es gelangen längere und gelenkte Flüge. In den 1930er Jahren nutzen die braunen Machthaber das Gelände als Ausbildungslager für künftige Kampfflieger, Flugzeugschuppen und Kaserne wurden errichtet. Die militärische Nutzung der Wasserkuppe wurde mit Ende des kalten Krieges eingestellt. An die tollkühnen Kerle in ihren klapprigen Kisten erinnern Ausstellungsstücke in „Peterchens Mondfahrt“ und im „Deutschen Flieger“, auf deren Sonnenterrassen Kaffee und Kuchen besonders gut schmecken. Spannende Ausblicke auf den laufenden Flugbetrieb bieten sich vom Restaurant „Weltensegler“ im Luftsportzentrum direkt an der Start- und Landebahn. Fast schon einem Absturz gleicht meine abschüssige Fahrt hinunter nach Dietges, von wo aus ich den 42 Kilometer langen Hochrhönring, die hiesige Route 66, gegen den Uhrzeigersinn umfahren möchte. Die mit grün-weißen Schildern gekennzeichnete Aussichtsrunde um den Berg Milseburg erreicht Höhen von bis zu 800 Metern und bietet ganz nebenbei wunderschöne Fernblicke über die gesamte Region. 

Völlig ohne Panoramen muss der schmale Weg auskommen, den ich dann in der Nähe von Gersfeld am Rande des Truppenübungsplatzes Wildflecken entdecke. Ohne Mittelstreifen und Verkehrsteilnehmer rausche ich auf picobello Asphalt durch eine verträumte Feldwaldundwiesenlandschaft über Dalherda nach Thalau an der B 279. 

Brücke in Nordheim - Motorradtour Rhön Kaum bin ich auf die benachbarte B 27 abgebogen, darf auch mal wieder der hohe Gang mitspielen. Während mich der Wechsel über die Landesgrenze von Hessen nach Bayern völlig unbeeindruckt lässt, staune ich über die vielfach geschwungene Auffahrt zum Höhenzug bei Motten, auf dessen Scheitelhöhe sich die Rhein/Weser-Wasserscheide befindet. Das besondere Wasser seiner Heilquellen hat dem nicht weit entfernten Kurort Bad Brückenau den Titel „Bayerisches Staatsbad“ beschert. Und weil ich nicht kuren, sondern kurven möchte, setze ich hier meinen südlichen Wendepunkt. Auf der anderen Seite des Truppenübungsplatzes in Richtung Bischofsheim unterwegs, achte ich auf den Weiler Oberbach, mein Tor zur grünen Hölle in den Schwarzen Bergen. Zwischen den Hängen von Totnansberg und Schwarzenberg quetscht sich der schmale Fahrweg hindurch nach Gefäll. Wenige Aussichten, viele Emotionen, zehn Kilometer lang kommen Hände und Füße nicht zur Ruhe. Der Adrenalinpegel bleibt kon­stant hoch, weil die sich anschließende Etappe über Sandberg zum Kloster Kreuzberg als fahrerisches Schmankerl erweist: Biegungen aller Güteklassen und ein perfekter Belag lassen meinen Boxer durch den Wald bergauf röhren, hohe Tannen stehen wortlos Spalier. 

Gedenkstein Schmerbach - Motorradtour Rhön In welch imponierender Höhe Franziskanermönche ihr Kloster im 17. Jahrhundert errichteten wird klar, als ich Bezeichnungen wie „höchstes Gasthaus Nordbayerns und höchste Bushaltestelle Frankens“ lese. Leise knisternd lasse ich die GS auf dem Parkplatz zurück und schlendere zum nahen klostereigenen Biergarten, wo der bei Wanderern und Wallfahrern beliebte Gerstensaft ausgeschenkt wird. Weil Flüssiges das Fasten nicht bricht, wird auch in diesem Gotteshaus mit viel Geschick süffiges Bier gebraut. Nachdem ich mich an einem Mineralwasser erfreut habe, mache ich mich auf den steilen Weg zum 928 Meter hohen Gipfel des „Heiligen Berges der Franken“ – mein Ziel ist die bekannte Kreuzigungsgruppe. Die Sommerwärme, die Motorradstiefel, der Tankrucksack und scheinbar unendlich viele Treppenstufen lassen mein Herz rasen und den Atem keuchen, doch oben an den drei Kreuzen angekommen, entschädigt ein sagenhafter Ausblick für die Mühe: Weite Teile der Rhön liegen mir zu Füßen, selbst die Wasserkuppe ist deutlich zu erkennen. Nach längerer Zeit werde ich durch die Gesprächsfetzen einer sich nähernden Wandergruppe aus meiner fast schon meditativen Stille gerissen, Zeit zu gehen. 

Klosterschenke am Kreuzberg - Motorradtour Rhön Den Kreuzberg habe ich über die westliche Abfahrt nach Oberwildflecken verlassen, um in einem kleinen Bogen nach Bischofsheim zu kurven, dort nimmt die Hochrhönstraße ihren Anfang. So wie die Nationalsozialisten die Wasserkuppe für ihre Zwecke entdeckten, wurde vor dem Zweiten Weltkrieg der ehrgeizige Plan in die Tat umgesetzt, die bis dahin ärmliche Rhön stärker zu fördern. Männer des Reichsarbeitsdienstes schufen dabei die 25 Kilometer lange Verbindung nordwärts bis nach Fladungen, die damals allerdings nur geschottert war. In weiten Schleifen komme ich dem weiß-blauen Rhönhimmel näher, bis ich die zentrale Hochfläche erreiche.

Hier zeigt sich das Biosphärenreservat Rhön von seiner schönsten Seite: Die recht einsame und herrlich verkehrsarme Straße verläuft auf 800 Höhenmetern durch Wiesen, Weiden und Moore, die immer wieder durch die typischen lila Pflanzenteppiche unterbrochen werden. Weil es häufig stur geradeaus geht, kann ich die Panoramen rechts und links des Lenkers voll auskosten. Hemmungslose Rodungen und lebensfeindliche Bedingungen schufen jene karge Landschaft, die der Rhön den Ruf als Land der offenen Fernen einbrachte. Lebensfeindlich ging es auch im Lager Schwarzes Moor zu: Nach dem Abzug des Reichsarbeitsdienstes zum Beginn des Krieges wurden Zwangsarbeiter eingesetzt, das Moor urbar zu machen, viele von ihnen starben durch die harte Arbeit. Vom einstigen Lager blieb nur noch der Torbogen des Eingangs als Mahnmal erhalten. Ich verlasse das Dreiländereck, hier stoßen Hessen, Bayern und Thüringen aneinander, und freue mich darauf, auf der Rückreise zum Bio-Hotel Sturm einen weiteren Höhepunkt anzusteuern. Die kleine aber feine Familienbrauerei Roth verschwindet im Rückspiegel, als ich zur bewaldeten Rother Kuppe abbiege und die Maschine von einer Schräglage in die andere lege. Oben an der Turmgaststätte angekommen, steige ich die vielen Stufen bis zur Aussichtsplattform hinauf und lasse meinen Blick über die vordere Rhön bis zum Thüringer Wald schweifen. Mit der tiefstehenden Sonne im Rücken nehme ich wenig später Kurs auf Mellrichstadt. Der Tag verging wie im Flug!

Abkühlung an der Fulda-Quelle - Motorradtour Rhön

Allgemeines: Die Rhön erstreckt sich von der Werra im Norden bis an die Fränkische Saale im Süden über rund 80 Kilometer, von der Stadt Fulda im Westen bis nach Mellrichstadt im Osten über circa 50 Kilometer und verteilt sich auf die drei Bundesländer Bayern, Hessen und Thüringen, der größte Teil liegt im Freistaat. Das Mittelgebirge ist überwiegend vulkanischen Ursprungs, die höchsten und bekanntesten Erhebungen sind die Wasserkuppe (950 m) und der Kreuzberg (928 m). Während die historisch belegten dichten Buchenwälder gnadenlosen Rodungen zum Opfer fielen, sorgte das raue Klima in den Höhenlagen für jene weiten baumlosen Flächen, die der Rhön den Beinamen „Land der offenen Fernen“ einbrachte. Diese schützenswerte Kulturlandschaft wurde 1991 als UNESCO-Biosphärenreservat anerkannt. Die Region ist touristisch voll erschlossen, es lohnt sich, die Ortskerne der Kleinstädte zu erkunden, viele Marktplätze glänzen mit hübschen Brunnen und werden von malerischen Fachwerkbauten eingerahmt. Neben der deftigen Küche Hessens und Frankens seien die süffigen Biere der Brauerei Roth und die charaktervollen Weine aus dem Saaletal empfohlen. Für die Rhön sollten mindestens drei Fahrtage eingeplant werden, um ausreichend Zeit für einige ausgesuchte Höhepunkte zu haben. Das Straßennetz ist dicht, aber von sehr unterschiedlicher Qualität, die Beschilderung durchgehend gut. Während in der östlichen Rhön die Nebenstrecken durch verwinkelte und enge Ortschaften führen, wurden im westlichen Teil viele Verläufe begradigt. An Wochenenden und Feiertagen sind die typischen Bikerziele wie Hochrhönring und Wasserkuppe stark frequentiert und sollten gemieden werden. Die sehr abwechslungsreiche Tour ist trotz der Kurvenzahl und Höhenunterschiede auch für Anfänger und Wiedereinsteiger geeignet.   

 

Unser Hotel: Bio-Hotel Sturm

Im liebevoll geführten Haus von Mat­thias und Christa Schulze Dieckhoff, das zu den bekannten Motor-Bike-­Hotels gehört, beginnt und endet ein Fahrtag, wie man es sich als anspruchsvoller Gast nur wünschen kann: Komfortable Zimmer; ein aufmerksamer aber unaufdringlicher Service; eine ausgezeichnete, kreative Bio-Küche; der große schattige Garten mit dem Schwimmteich und eine Wohlfühlecke für das Motorrad. DZ mit Frühstück und 4-Gang-Menü ab 160 Euro.

Bio-Hotel Sturm, Ignaz-Reder-Straße 3, 97638 Mellrichstadt
Fon 09776 / 8180-0, www.hotel-sturm.com

 

Rhön Tourismus & Service GmbH Landkreis Fulda

Wasserkuppe 1, 36129 Gersfeld
Fon 06654-918340
www.rhoen.de