aus Kradblatt 7/18
von Jürgen „Juri“ Grieschat, www.mottouren.de

Besichtigung der Reifenproduktion bei HEIDENAU …

Begrüßung bei HEIDENAU zur Werksbesichtigung

Orte, in denen in Deutschland Motorräder und Zubehör hergestellt werden, sind in den letzten Jahren deutlich weniger geworden. Einer befindet sich in Heidenau in Sachsen. Ein Rundgang vor Ort, um zu erfahren, wie Reifen hergestellt werden!

Um 9:30 Uhr sind wir verabredet. Klar, dass wir pünktlich sind. Die weißen Gebäude und das grün-weiß-schwarze Firmenlogo haben uns auch direkt auf das Firmengelände an der Hauptstraße in Heidenau geführt. Kaum haben wir auf den Besucherparkplätzen gehalten und sind abgestiegen, geht die Eingangstür auf und Markus Olejnick kommt heraus, um uns zu begrüßen. Markus ist im Unternehmen für technische Beratung und Reifenfreigaben zuständig. Er wird uns auch einen Einblick in die Reifenproduktion geben. Wir kennen uns schon lang und so war es auch kein Problem, diesen Besuchstermin zu verabreden. Zunächst gehen wir in das Büro von Pierre Schäffer, dem Vertriebsleiter im Reifenwerk Heidenau. Dort treffen wir auch auf Sabine Kaufmann, die im Unternehmen für das Marketing zuständig ist. Bei einem Kaffee stimmen uns die drei auf das Unternehmen und seine Erzeugnisse ein:

HEIDENAU - im Rohstoff-Lager Die ersten Produkte des 1946 gegründeten Unternehmens waren Gummiform-Artikel. Doch in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg war der Bedarf an Reifen für PKW und Fahrräder so groß, dass diese vorrangig produziert wurden. Sie kamen unter der Bezeichnung „Heidenau“ auf den Markt. 1969 wurde das Reifenwerk Heidenau in das VEB „Pneumant“ Kombinat eingegliedert, in dem die gesamte ostdeutsche Reifenindus­trie vereinigt wurde. Mit der Markenbezeichnung „Pneumant“ wurden dann im Reifenwerk Heidenau bis 1994 auch alle Moped- und Motorradreifen gefertigt. Am Ende der DDR-Zeit waren am Standort knapp 800 Mitarbeiter beschäftigt. 

Nach der Wende entstand, im Rahmen der Neuorientierung, 1994 die Reifenwerk Heidenau GmbH & Co. KG mit Produktionsschwerpunkt Zweirad-, Kart- und Spezialbereifung. „Da mussten wir erst mal sehen, wo die Reise hingeht“, erklärt Verkaufsleiter Pierre Schäffer. „Und diese Reise geht nun schon seit über 13 Jahren weiter! Eine Zeit nicht ohne Veränderungen und Herausforderungen, aber auf die wir stolz sind. Durch den Mut am Produktions- und Innovationsstandort Deutschland festzuhalten, eine größtmögliche Qualitätssorgfalt sowie eine Unternehmenskultur zum Anfassen ist es uns gelungen, ‚HEIDENAU‘ als Premiummarke fest im Markt zu etablieren“, charakterisiert Pierre Schäffer weiter. „Wir verfolgen sehr aufmerksam Veränderungen am Markt und können auch zügig auf neue Trends reagieren.“ Nicht leicht für ein mittelständisches Unternehmen im hart umkämpften Zweiradsegment. Doch auch Oldtimerfreunde kommen in HEIDENAU auf ihre Kosten. So wird weiterhin die Originalbereifung für Trabbis, Barkas, VW-Käfer und Multicar hergestellt. Die treue Kundschaft honoriert das konsequente Vorgehen der Heidenauer. 

HEIDENAU - Reifen-Backofen „Flexibilität wird bei uns großgeschrieben“, erläutert Sabine Kaufmann die Unternehmensphilosophie. „Dadurch können wir auch schnell auf spezifische Anforderungen eingehen, individuelle Lösungen erarbeiten und auch kleine Losgrößen fertigen. Aber wir wollen nicht ausschließlich über den Preis definiert werden.“ Vielfach wurden ungewöhnliche Entscheidungen getroffen. Dazu gehört auch, dass die Heidenau-Profile in der Diagonalbauweise ausschließlich in Deutschland produziert werden. Gestartet mit 35 Produkten im Jahre 1994, wird heute ein Sortiment von über 550 Reifenausführungen für unterschiedlichste Anwendungsbereiche angeboten. 

HEIDENAU K60 - Lauffläche und Karkasse werden verbunden Im Vertrieb setzt Heidenau voll und ganz auf den Großhandel, liefert in über 60 Länder, aber nicht an Internetshops. Von den Motorradhändlern hat das Werk für seinen Service schon viel Lob erhalten, so wiederholt den ersten Platz „Best Brands“ bei der „bike und business“ Händlerumfrage. 

Dafür steht auch die Entwicklung des K60 Scout als Allround-Reifen für Großenduros. Mit diesem Enduroreifen hat der sächsische Reifenproduzent Heidenau eine Nische gefunden, in der er ohne echte Konkurrenz ist. Der K60 Scout bietet sichere Fahreigenschaften und eine hohe Laufleistung auf Asphalt, eignet sich aber dennoch für Geländefahrten und ist damit an der Schnittstelle zwischen Straßen- und echtem Enduroprofil. Dieser Reifen hat sich zu einem wichtigen Umsatzbringer für das Werk entwickelt und ist mittlerweile weltweit erfolgreich. Durch die spezielle Diagonalgürtelkonstruktion ist ein Top-Tempo von 190 km/h möglich. Das kann ich aus eigener Erfahrung nur bestätigen, bin ich doch auf diesen Reifen sicher auf Endurostrecken auf Island, in den Westalpen und innerhalb Russlands zwischen Karelien und dem Baikalsee unterwegs gewesen.HEIDENAU - K60 Endkontrolle

Nicht nur aus diesem Grunde ist es für uns höchst interessant, den Ablauf einer Reifenherstellung zu sehen. Bei unserem Rundgang sind wir hautnah dran. Die Atmosphäre beeindruckt uns. Wir nehmen Gerüche, Geräusche und Temperaturunterschiede sehr intensiv wahr. 

An einem der großen Extruder zeigt uns Markus das „Mundstück“, mit dem die Gummimischung in Form gebracht wird. Wir folgen dem Ablauf, sehen wie die Lauffläche aufs Band gespuckt wird, wo sie anschließend auf Länge geschnitten wird.

HEIDENAU - Auslieferungslager Die Cord-Gummi-Mischung ist maßgeblich für die Eigenschaften und die Stabilität des Reifens verantwortlich, ebenso wie der Winkel, in dem das Gewebe im Material eingelagert ist. Unendlich viel Handarbeit steckt in der Produktion eines solchen Reifens. Ganz genau fügen die Mitarbeiter die Teile zusammen, bringen sie laserunterstützt auf die Lauffläche auf. Ein paar Minuten später gibt Markus uns einen fertigen Rohling. Das soll ein Enduroreifen werden? Schaut eher nach einem Quadreifen im Niederquerschnittsformat aus. Aber das wird sich ganz schnell ändern. Versehen mit einem Trennmittel geht es in die betriebseigene „Bäckerei.“ Unter großem Druck, je nach Reifentyp von 12–16 bar und mit einer Temperatur von 165° C werden die Rohlinge vulkanisiert, entstehen hier aus den Gummiringen echte Reifen. Immer weitere Stationen folgen, viele Handgriffe und Prüfungen sind notwendig, bevor der Reifen zu den vielen anderen ins Versandlager kommt, zu den Bergen verschiedenster Reifen­typen und -größen, die auf den Versand in alle Welt warten. 

HEIDENAU K60 im Einsatz bei MottourenEins steht bei HEIDENAU immer an erster Stelle: Die Sicherheit der Fahrer. Das sächsische Unternehmen entzieht sich bewusst dem „Immer-höher-schneller-weiter-Rennen“. Denn nur wenn erste Alltagserfahrungen vorliegen, wird das Produkt offiziell präsentiert und in den Handel gegeben. Sicher ist sicher und neben den Heidenau-Testfahrern geben auch private Motorradfahrer dem Hersteller ihre Erfahrungen weiter. Denn auf vielen Straßen der Welt hat der Reifen bewiesen, dass er nicht weniger Grip aufbaut als ein herkömmlicher Straßenreifen. Der robuste Aufbau mit dem großen Negativanteil beeinträchtigt die Asphalteigenschaften nicht, zumindest wenn der Fahrer die Straße nicht mit einer Rennstrecke verwechselt, denn es gibt in Schräglage einen kleinen Kipp­effekt, wenn der Reifen vom durchgehenden Mittelsteg in das Stollenprofil wechselt.

Eine Vielzahl von Reiseblogs und Internetseiten, in denen Motorradfahrer über ihre Erfahrungen berichten, verweisen auf Geländeeignung, Nasshaftung und vor allem auf die Laufleistung. Die Entwickler bei Heidenau fahren nicht nur selber gerne Motorrad, sondern arbeiten auch aktiv mit Weltreisenden und Reiseanbietern zusammen. Auf www.heidenau.com sind diese Internetseiten verlinkt.

„Denkt dran“, sagt Markus zum Abschied, „rund, schwarz und das Profil außen ist nicht alles.“ Der Besuch hat uns viel Spaß gemacht. Wir verabschieden uns und ich freue mich schon darauf, die Jungs und Sabine im Rahmen unserer „Motorrad, Helm, Reifen Tour – erfahren, wie es geht“ im nächsten Jahr wieder zu sehen. Infos zu der Tour gibt es online unter www.mottouren.de. 

Infos zum kompletten Heidenau-Sortiment gibt es online unter www.reifenwerk-heidenau.de, aktuelle News auch unter www.facebook.com/ReifenwerkHeidenau.