aus Kradblatt 10/13
von Frank Sachau

Gemütlicher Rastplatz im Dreiländereck Tschechien – Österreich – DeutschlandWie war das noch mit der Bauernweisheit vom Abendrot und dem schlechten Wetter? Kaum zu glauben, dass die Sonne, die am Vorabend so wunderschön kitschig unterging, heute nicht zu sehen ist. Wir sind im Landhotel Gut Riedelsbach, bei Bernhard Sitter, Deutschlands erstem Diplom-Biersommelier zu Gast. Sein Bier- und Wohlfühlhotel dürfte weltweit wohl einzigartig sein. Ein- bis zweimal pro Woche werden in der eigenen Brauerei ganz besondere Hopfensäfte gebraut, über 30.000 Liter pro Jahr. Der quirlige Hausherr, der immer zwei verschiedene Schuhe trägt, hat in seinem Brauerei-Kultur-Museum alles zusammengetragen, was mit dem süffigen Gerstensaft zu tun hat: Fässer, Werbeschilder, Bierdeckel und und und. Ganz besonders stolz ist er auf 3000 salzglasierte Steinkrüge, die zu einem 13 Meter hohen Turm aufgestapelt über mehrere Etagen bis unters Dach ragen. Der engagierte Bier-Guru war sogar schon als „Judge Bernhard“ Preisrichter beim „Beer World Cup“ in Seattle und in San Diego. Er drückt uns nach dem Frühstück eine Tourenkarte in die Hand und los geht’s.
Totenbretter dienten früher den armen Leuten als SargersatzDas Dreiländereck Österreich – Tschechien – Deutschland wirkt heute Morgen mausgrau, da müssen die schmalen, verwinkelten Straßen für die richtige Portion Fahrspaß sorgen. Die Tannenwaldetappe Breitenberg – Wegscheid legt sich dabei gleich mächtig ins Zeug und wir uns mit ihr in die Kurven. Über die zahlreichen Kuppen des Bayerischen Waldes hüpfen wir zum Schnapsmuseum Hanzenberg – Jahrdorf. Nach dem Rundgang könnten wir noch einen Stamperl Bärwurz, einen scharfen, aromatischen Kräuterschnaps kostenlos probieren. Doch halt, wie war das mit dem Fahren und dem Alkohol? Nur gucken, nicht anfassen!
Die Dreiflüssestadt Passau, am Zusammenfluss von Donau, Inn und Ilz, markiert unseren südlichen Wendepunkt und den Einstieg in einen kleinen Abschnitt der 250 Kilometer langen Glasstraße. Auf der breiten B 12 reihen sich Tempolimits und Überholverbote aneinander, kein Wunder, dass wir einen Haken über Waldkirchen nach Freyung schlagen. Eine Strecke, die sich sehen lassen kann! Im nahen Grafenau stellen wir die Weichen neu und biegen nach Spiegelau ab, ohne dabei auf den landschaftlich und fahrerisch reizvollen Schlenker über Sankt Oswald zu verzichten.
Bayerischer WaldSpiegelau gilt als das Tor zum Nationalpark Bayerischer Wald: 25000 Hektar Urwald wurden 1970 zu Deutschlands erstem Nationalpark erklärt. Rechts von uns wachsen die Gipfel des dicht bewaldeten Mittelgebirges bis über 1300 Meter in die Höhe und bilden die natürliche Grenze zu Tschechien. Die dunklen Forste werden gläsern: Seit dem 14. Jahrhundert wurden die scheinbar unendlichen Holzvorkommen zum Betrieb der Schmelzöfen benutzt. In den Glashütten entstanden anfangs Trinkgläser, Spiegel- und Fensterscheiben, sowie Glasschmuck. Später folgten dann hochwertige optische Gläser für Mikroskope und Brillen. Zwiesel ist als Glasstadt weltbekannt. In einem kleinen Nest mit dem lustigen Namen Dampfsäge biegen wir ab und umfahren Zwiesel weiträumig.
Das magere Asphaltband entpuppt sich als erste Wahl, windet sich kurvig um den Riesberg herum und spuckt uns dann an der Einmündung zur B 11 wieder aus. Kaum haben wir auf Reisegeschwindigkeit beschleunigt, fliegt auch schon eine Hinweistafel „Großer Arber“ vorbei. Die Zufahrt zum König des Bayerwaldes, wie der Fast-Fünfzehnhunderter liebevoll betitelt wird, beginnt in Regenhütte. Und was kam man in einer Region erwarten, die von Flüssen wie Großer und Kleiner Regen, Schwarzer und Weißer Regen durchflossen wird? Genau! Rechts ran und Regenkombi raus! Wir schminken uns den Besuch des Motorradtreffs am Großen Arber ab und verschwinden mit zunehmenden Höhenmetern in tief hängenden Regenwolken. Für einen kurzen Augenblick erscheint eine blasse silberne Scheibe am Himmel, sollte die Sonne rauskommen? Von wegen. Auf der Passhöhe Bretterschachten (1120 m) verbreiten um Totenbretter wabernde Nebelfetzen Gänsehautgefühle wie in einem Edgar Wallace Krimi. Vorsichtig tasten wir uns durch die Waschküche hinunter nach Bodenmais und treiben dann die Maschinen nach Patersdorf an der B 85, der berühmten Bier- und Burgenstraße, die hier parallel zum Höhenzug Pfahl verläuft. Der Pfahl ist eine Bruchlinie in der Erdkruste, die 150 Kilometer quer durchs Land zieht. Eine weitere geologische Besonderheit wartet an der Nebenstrecke nach Bischofsmais auf uns. Wir kommen am Teufelstisch vorbei. Das 900 Meter hohe, seltsam geformte Steingebilde bildet eine gelungene Kulisse für verschiedene Sagen. Eine handelt davon, dass der Teufel gerade beim Mittagessen an seinem „Teufelstisch“ saß, als das Glockengeläut von St. Hermann ertönte. Voller Entsetzen und Wut ließ der Teufel sein Essen zurück und flüchtete. Das Essen, einen Schweinsbraten mit Knödeln, soll man angeblich heute noch versteinert finden.
Bayerischer Wald Über Kirchberg und Kirchdorf im Wald gelangen wir quer Beet nach Spiegelau. Viel Teer stand wohl nicht zur Verfügung, als die hagere Strecke durch und am Nationalpark entlang nach Maut gebaut wurde. Wir ziehen kräftig am Kabel, mit flottem Tempo rauschen wir durch den Wald, dicht an der Tschechischen Grenze entlang. Der Asphalt weist immer mehr Pockennarben auf, was die Fahrfreude aber nicht schmälert. Der zum Pflichtprogramm gehörende Besuch des Dreisesselbergs fällt leider aus, er wird wie wir vom Sprühregen umhüllt. Trost spenden wärmende Gedanken an das bevorstehende „BBBBB – Bernhards Bayerisches Bier Bottich Bad“.
Voller Hoffnung öffnen wir am nächsten Morgen die Vorhänge und siehe da, zwischen den grauen Wolken lugt ab und zu die Sonne hervor. Voller Elan queren wir die nahe Grenze nach Österreich, um das benachbarte Mühlviertel zu erkunden. Bei Julbach hüpfen wir über die Kleine Mühl und ergötzen uns dann an der ununterbrochenen Abfolge von Kurven aller Güteklassen bis ins Donautal. Unter der Niederrannabrücke hindurch tasten wir uns auf einem legal befahrbaren Weg direkt an den träge dahinfließenden Wassermassen entlang, um zur ehemaligen Raubritterfestung bei Marsbach wieder steil emporzusteigen. Es bleibt spannend! Der schmale Fahrstreifen nach Obermühl mausert sich zur gewundenen Berg- und Talbahn, mutiert zur Landstraße, bremst uns an der Mündung der Großen Mühl aus, um dann wieder an Höhe zu gewinnen und Kurs auf St. Martin einzuschlagen.
Burg Piberstein, Bollwerk gegen die drohende Türkengefahr (im 16. Jahrhundert.)Ganz in der Nähe, im Naturschutzgebiet Pesenbachtal, kehren wir beim „Schlagerwirt“ ein. Oben auf dem Berg sitzen wir im gemütlichen Garten und lassen uns Mühlviertler Spezialitäten vom eigenen Bauernhof schmecken. Wir haben Glück: Das Wetter hält, der Teer ist trocken, die Tanks sind noch gut gefüllt. Nach einem Blick auf die Straßenkarte visieren wir den nächsten Zwischenstopp an.
Auf unserem Weg nach Waxenberg tanzen wir den Kurvenwalzer, spielen das Getriebe rauf und runter und gucken ganz großes Landschaftskino. Kein Glück hatte die exponiert liegende Burg Waxenberg – ein Blitzschlag setzte vor mehreren Hundert Jahren die gesamte Anlage in Brand und ließ nur den 30 Meter hohen Bergfried übrig. Blühende Lupinen und fromme Bildstöcke säumen die Straßen, auf denen wir von Tal zu Tal bis nach Kefermarkt eilen. Und weil wir den Hals nicht voll bekommen können, wählen wir eine weitere Kurven-Schmankerl-Strecke über St. Oswald nach Windhaag an der tschechischen Grenze. Dort nimmt uns eine Panoramastraße gefangen, deren wohlgeformte Rundungen unsere Reifenflanken zur verstärkten Mitarbeit auffordern.
Mit dem guten Gewissen, nichts Unrechtes getan zu haben, betreten wir wenig später den „Mühlviertler Dom“, wie die Reichenthaler Pfarrkirche genannt wird und bestaunen die 7-Todsünden-Kanzel, die von einer geschnitzten siebenköpfigen Schlange getragen wird und die menschlichen Schwächen bildlich darstellt. Anschließend sind wir für ein paar Kilometer auf der B 38 zu Gast, bevor wir am Ortsrand von Bad Leonfelden nach Traberg verschwinden. Ein äußerst knapp bemessenes Teerband kurvt mit uns um jeden Baum des finsteren Forstes bis an das massive Tor von Burg Piberstein.
HopfenanbauDie schon im 13. Jahrhundert auf einem Felsvorsprung errichtete Festung diente später bei der drohenden Türkengefahr als strategisch wichtiges Bollwerk. Wie die Turmfalken stürzen wir hinunter nach Helfenberg ins Tal der Steinernen Mühl und zirkeln im großen Bogen nach Haslach, wo die Steinerne dann in die Große Mühl mündet. Während die Erstgenannte südlich des Moldaustausees das Licht der Welt erblickt, ist die Quelle der Großen Mühl im bayerischen Teil des Böhmerwaldes zu finden. Gegen den Strom dringen wir tiefer in die waldreiche Hügellandschaft ein und besuchen das nur wenige Kilometer vom ehemaligen Eisernen Vorhang entfernt schlummernde Adalbert Stifter-Denkmal. „Meine ganze Seele hängt an dieser Gegend“. So schwärmte einst der multitalentierte Künstler (1805 – 1868) von seiner Heimat, dem verzaubernden Böhmerwald. In seinen Erzählungen hat der Maler, Poet und Pädagoge jener 120 km langen Bergkette ein Denkmal gesetzt, die sich auf beiden Seiten entlang der tschechisch-deutsch-österreichischen Grenze erstreckt. Um den am nördlichen Ufer des Moldaustausees gelegenen Geburtsort Stifters sehen zu können, streben wir über Ulrichsberg zum Aussichtsturm Moldaublick. Doch die Chance auf ein imposantes Panorama schwindet mit der Sonne hinter einer schnell aufziehenden Regenwand. Patschnass kommen wir am Holzschauhaus an. Drinnen bollert ein kleiner Ofen, wir sind die einzigen Gäste und werden von der Wirtin liebevoll umsorgt.
Als der graue Himmel für einen Moment aufreißt, stürmen wir die stählernen Stufen zur Aussichtsplattform hinauf. Und tatsächlich ist der gigantische Moldaustausee durch die Wolkenfetzen hindurch zu erkennen. Nun können auch wir Adalbert Stifters große Liebe zum Böhmerwald verstehen. Wenig später sirren unsere Reifen über den noch nassen Asphalt in Richtung Neureichenau.
Wir freuen uns auf die urige Gutshausbrauerei und ein Sitter Bräu. Egal, ob auf das naturtrübe Blond, das hellgelbe Pils, oder das feurig dunkle Schwarz. Hauptsache: O’zapft is!

Unterkunft:
Landhotel Gut Riedelsbach
Familie Sitter • 94089 Neureichenau
Fon: 08583 96040
www.gut-riedelsbach.de

Wo Biergenuss sich mit den träumerischen Landschaften des Bayerischen Waldes vermengt und die Alltagshektik Pause macht, wartet das Bier- und Wohlfühlhotel der Familie Sitter auf motorradelnde Gäste. Der Wirt fährt selbstverständlich selbst. Übernachtung mit Frühstück ab 49 Euro pro Person.

Literatur & Karten:
„Motorrad-Touren Süddeutschland“, Harald Denzel. Ein mit Farbfotos und Kartenskizzen reich illustrierter Reiseführer mit 61 lohnenswerten Rundfahrten im süddeutschen Raum. 350 Seiten, Tankrucksackformat. Denzel-Verlag Innsbruck, ISBN 3850477606. 22 Euro.

Motorrad Powerkarten „Süddeutschland und Österreich“, Good Vibrations Verlag, 8 laminierte Blätter, Maßstab 1 : 250.000, nahezu unkaputtbar, ISBN 9783937418223. 19,90 Euro. Die Karten sind im Buchhandel oder bei Louis erhältlich.