aus bma 2/01

von Michael Schories

Wenn ich immer auf meine lieben Verwandten gehört hätte, würde jetzt wahrscheinlich ein koreanischer Kleinwagen vor der Haustür stehen und der alljährliche Urlaub sähe jedes Jahr den Robinson-Club vor. Und so hören sich die Kommentare auch in diesem Jahr wieder wie gewohnt an: Von Schleswig-Holstein bis in die Türkei…, spinnst du? Mit der Karre durch den Ostblock? – bei den Straßen und der Kriminalität? Deine Versicherung bekommt viel Arbeit…. blablabla. Alles Blödsinn! Und wenn es Ärger gibt, wozu hat man den ADAC-Schutzbrief? Außerdem bin ich diese Strecke doch schon zwei mal gefahren – einmal mit einer 250er MZ, dann mit einer alten XJ 600. Also ran an den Speck.
Erste Aktion: Anruf bei Kumpel Frank: 1. Läuft Deine Karre noch? 2. Warst Du schon mal in Bulgarien und weiter südlich? 3. Hast Du noch Resturlaub? Antwort: Ja! Nein! Ja! – Na, dann ist ja alles klar. Urlaubsbeginn Ende September; geplante Strecke ca. 7000 Kilometer inclusive Abstecher nach Griechenland; Visa? Gibt’s wie immer an den Grenzen; neues Öl für die Bikes sowie massig Werkzeug, Pannenspray und Kettenfett eingepackt und los geht’s. Damit noch ein paar Kilometer und eine Grenze mehr zusammen kommen beginnen wir mit einem Abstecher auf die dänische Insel Rømø. Ein (offensichtlich gut betuchter) Harleyfahrer (Kilometerstand nach zwei Jahren: 3800) fragt uns, wo wir mit so viel Gepäck hin wollen und erzählt uns schließlich, dass nur Route 66 die wahre Erfüllung ist. Mühsam versuche ich mir das Lachen zu verkneifen, als ich sehe, dass Frank hinter seinem Rücken beginnt, die Fransen seiner Original-amerikanischen-Lederjacke zusammen zu knüpfen. Nix wie weg hier.

 

Die ersten Tage sind mehr oder weniger langweilig: 500 Kilometer bis Berlin, 1100 bis Budapest (aua – mein Hintern) und noch mal 400 bis nach Nord-West-Rumänien. Wenn die Grenzabwicklung nicht immer wieder so schleppend vonstatten ginge, wären wir nicht immer erst um 20 Uhr in unserem Motel…. Zudem stehen wir zwischen Ungarn und Rumänien plötzlich vor einem Grenzübergang, der für alle Fahrzeuge außer LKWs gesperrt wurde (Nadlac). Der Umweg von knapp 100 Kilometern Buckelpiste zu einem anderen Übergang war natürlich nicht geplant aber – na ja – mit solchen Erlebnissen muss man in Südost-Europa nun mal rechnen.
Für das Transitvisum durch Rumänien löhnen wir knapp 40 DM. Dafür kostet uns das Doppelzimmer in einem guten Motel in Lugoj gerade mal 15 DM. Und als wir für ein fürstliches Abendmahl pro Person nur 3 DM und für recht gutes rumänisches Bier (Arbema Premium) gerade mal 35 Pfennig pro halben Liter bezahlen, ist die Welt doch wieder in Ordnung.
Am nächsten Morgen geht es weiter – immer parallel zur Donau. Auf der anderen Uferseite sind die ehemaligen Jugoslawien-Republiken. Wir genießen die kurvigen Strecken und antworten auf das Winken der Einheimischen mit fröhlichem Hupkonzert. Außer einigen skandinavischen und türkischen Truckern findet man weit und breit keine Ausländer. Dabei bietet die Landschaft das, was man wohl neudeutsch Erholungswert nennt, reichhaltig.
Tankstopps (1 Liter Super kostet ca. 63 Pfennige) dauern meist vier mal so lang wie geplant, da wir mit einer Mischung aus deutsch, englisch, russisch plus gestikulieren immer wieder Fragen über die Motorräder beantworten müssen. Die Frage nach der Höchstgeschwindigkeit fällt dabei meist aus… wenn der Tacho bis 260 geht, dann ist das nach Meinung der Rumänen auch die erreichbare Größe. Ich fahr doch keine Hayabusa… versuche aber nach dem dritten Mal auch nicht mehr dagegen anzureden.
Erstaunlich ist immer wieder, dass die Menschen trotz der offensichtlichen Armut Optimismus ausstrahlen und sich an vielen alltäglichen Dingen erfreuen können. Natürlich wird das Vorurteil, dass hier jeder klaut wie eine Elster, völlig ad absurdum geführt. Im Gegenteil: Immer wieder werden wir zum Essen oder zur Übernachtung eingeladen. Aber letztendlich wollen wir doch weiter… Istanbul ruft.
Da wir wussten, dass in Rumänien von Rollbahn bis Trail-parcours alle Straßenzustände möglich sind, haben wir unsere Tagesetappen entsprechend kurz geplant. Endlose Wälder, viele Flüsse, breite Alleen begleiten unseren Weg – zumindest in diesem westlichen Landesteil scheint die Natur noch in Ordnung zu sein.
Und dann stehen wir irgendwann an der nächsten Grenze. Zwischen Bechet auf rumänischer und Oriachowo auf bulgarischer Seite verkehrt eine altersschwache Fähre über die Donau, die gewöhnlich nur von Trucks und selten von PKWs benutzt wird. Leider erreichen wir diesen Fährhafen zeitlich so ungünstig, dass wir über zwei Stunden warten müssen, ehe die nächste Überfahrt (ca. 500 Meter Flussbreite…) startet. Wir vertreiben uns die Zeit beim Plausch mit einigen türkischen und holländischen Fernfahrern, die gerade aus Hamburg und Amsterdam kommen. Endlich überqueren wir die Donau, …um auf bulgarischer Seite geschlagene zwei Stunden ignoriert zu werden. Dann endlich bemüht sich ein offensichtlich aus Vorwendezeiten stammender Beamter unseren Pass zu stempeln. Angenehm überrascht sind wir, dass wir kein Visum bezahlen müssen. Stattdessen wird eine Maut-/ Transitgebühr für bulgarische Straßen erhoben. Da der Beamte jedoch keine Gebühren-Angaben für Motorräder findet, entlässt er uns in die bulgarische Freiheit, ohne dass wir einen Pfennig opfern müssen. Inzwischen ist es 22 Uhr und im relativ unbekannten Bulgarien wollen wir lieber keine weiteren Kilometer im Mondlicht abspulen. Das laut ADAC existierende Hotel in Oriachowo gibt es nur noch auf dem Papier. Doch zum Glück treffen wir ein paar bulgarische Teenager, die uns den Weg zu einem versteckt liegenden, neuen Privathotel zeigen. Die Freude über das preiswerte 2-Zimmer-Appartment (3 DM!), wollen wir bei einem bulgarischem Bier mit Einheimischen teilen und treffen dabei auch die hilfreichen Bulgaren wieder. Es wird ein langer Abend mit vielen Pleven-Bieren, an dem wir viele neue Freunde finden. Erst als wir versprechen, auf dem Rückweg aus der Türkei wieder vorbeizuschauen, werden wir in unser Hotelzimmer entlassen.
Mit leichten Kopfschmerzen geht es am nächsten Morgen weiter. Die Stoßdämpfer der Zephyr werden ein ums andere mal gefordert. Dabei ist es ziemlich egal, ob wir auf Haupt- oder Nebenstraßen unterwegs sind. Eine Tankstelle findet man überall und das Benzin ist billig wie schon in Rumänien. Relativ preiswert kommen wir auch weg, als wir in eine Geschwindigkeitskontrolle geraten. Umgerechnet gerade mal 8 DM wechseln den Besitzer. Und schon wieder beschleicht uns das Gefühl, dass wir nur angehalten wurden, damit die Polizisten auf den Motorrädern probesitzen können.
Im Pirin-Gebirge finden wir ein wahres Kurvenparadies vor. Serpentinen schlängeln sich bis auf fast 2500 Meter hoch. Gleiches ist am übernächsten Tag am Schipkapass der Fall. Hier geht es aber nur 1350 Meter in die Höhe. Da der Straßenbelag ausnahmsweise mal durchgehend gut beschaffen ist, stoppt lediglich das viele Herbstlaub die Schräglagenfreiheit.
Endlich erreichen wir die türkische Grenze. So wie wir auf bulgarischer Seite verabschiedet werden, werden wir auf türkischem Gebiet begrüßt: von dutzenden fliegender Händler. Auch die Bürokratie ähnelt dem bereits Erlebten: nachdem wir insgesamt vier verschiedene Büros abgeklappert haben, ist endlich nach einer Stunde das Motorrad im Pass eingetragen und wir haben unsere Straßenbenutzungsgebühr (unter 10 DM) entrichtet.
Da wir heute noch Istanbul erreichen wollen, wählen wir die Autobahn und haben auch wenig Aufmerksamkeit für die Landschaft. Dass wir aber bei 130 km/h noch von türkischen Linienbussen überholt werden, finden wir dann doch beeindruckend.
In Istanbul angekommen, benötigen wir ein wenig Zeit, um uns an das Verkehrsgewusel zu gewöhnen: eine dreispurige Fahrbahn bedeutet zuweilen, dass vier Autos nebeneinander fahren; Hupen gehört zum Fahren wie Asterix zu Obelix, und eine rote Ampel ist nach Meinung vieler einheimischer Autofahrer erst fünf Sekunden nach dem Umschalten wirklich rot. Auf der Suche nach einer Übernachtungsmöglichkeit lernen wir unsere nächste türkische Lektion: Wir feilschen um den Preis und bekommen letztendlich für 80 US-$ zwei Nächte in einem Drei-Sterne-Hotel mitten im Stadtzentrum. Der Türsteher bezeichnet uns angesichts der verstaubten Motorräder und der zurückgelegten Strecke zwar nur als crasy, aber der Service und das Frühstücksbuffet sind erstklassig.
Die nächsten zwei Tage genießen wir Istanbul unmotorisiert. Die Stadt verwöhnt mit wunderschönen Moscheen, Basaren und Gastfreundlichkeit. Und endlich wissen wir auch, wie ein Döner-Kebab wirklich schmecken soll, so wie die Stadt insgesamt ein Paradies für Feinschmecker ist.
Um zu Hause behaupten zu können, dass unsere Moppeds auch schon mal in Asien waren, überqueren wir am nächsten Tag den Bosporus. Da das Ganze sehr unspektakulär abläuft, kehren wir nach wenigen Kilometern um und fahren langsam aber sicher Richtung Griechenland. An der Grenze verabschieden uns die türkischen Zöllner ein weiteres mal mit einem Lehrstück in Bürokratie und Langsamkeit. Das kann aber unseren positiven Eindruck von diesem Land nicht mehr schmälern. In Griechenland fällt dafür die Kontrolle völlig aus und wir fahren durch den Grenzübergang wie zwischen Deutschland und Holland. Das ist doch mal eine nette Begrüßung….
Entlang der Ägäis rund um Alexandroupoli genießen wir dann kurvige Küstenstraßen wie sie in keinem Motorradwerbespot fehlen sollten. Dazu gibt’s Anfang Oktober Temperaturen, von denen wir im heimischen Kiel selbst im Juli träumen. So ist es selbstverständlich, dass Frank auch noch ein Bad im Mittelmeer nimmt, während ich mir am Ufer seine Weichei-Beschimpfungen anhöre, weil ich zu faul bin, die Lederklamotten von mir zu werfen. Kleiner Wermutstropfen ist dann aber, dass zu dieser Jahreszeit schon alle Zeltplätze geschlossen sind und wir uns in relativ teure Hotels einmieten müssen. Also beschließen wir, so schnell wie möglich in’s billigere Bulgarien weiter zu reisen. Außerdem haben wir dort ja noch eine Verabredung….
Der Grenzübergang liegt spektakulär auf der Spitze einer tollen Passstraße im Pirin-Gebirge. Und diesmal ist die Einreise nach Bulgarien in 15 Minuten bewältigt, obwohl mehrere Reisebusse gleichzeitig mit uns abgefertigt werden. In Blagoevgrad finden wir dann auch nur ein Hotel, in dem wir mangels Alternativen übernachten, obwohl es teuer und schlecht ist. Dafür sind wir dann aber exotische Ehrengäste bei einer Hochzeit, die gerade heute im hoteleigenen Restaurant gefeiert wird. Gastfreundschaft auf bulgarisch halt.
Am nächsten Tag streifen wir nur kurz die bulgarische Hauptstadt Sofia. Nachdem wir einen Fast-Zusammenstoß mit einer Straßenbahn (eine ausgediente Berliner Tram!) hinter uns haben, treibt es uns doch wieder ins ländliche Gebiet. Zwischen Sofia und dem Nordteil des Landes geht es eher unspektakulär zu: schmale Alleen, die jetzt im Herbst ein besonderes Farbenspiel bieten, kleine verschlafene Dörfer und hin und wieder eine Bausünde aus sozialistischen Zeiten. Dazu auch hier wieder viele winkende Kinder und per Lichthupe grüßende Trucker aus halb Europa. Und wir sind immer wieder froh, dass wir die kyrillischen Wegweiser lesen können….
Am späten Nachmittag erreichen wir wieder Oriachowo an der Nordgrenze zu Rumänien. Freundlich werden wir von alten Bekannten begrüßt; sie sind erstaunt, dass wir wirklich wie versprochen auf der Rückreise bei ihnen vorbeischauen. Abends sind wir zum Essen eingeladen. Es gibt gefüllte Pasteten und Ziegenkäse aus eigener Produktion. Es schmeckt herrlich und wir werden regelrecht gemästet. Dazu trinken wir Birnenschnaps, ebenfalls von unseren Gastgebern selbst gebrannt. Die Gastfreundschaft ist überwältigend. Obwohl unsere neuen Freunde umgerechnet nur zwischen 60 und 100 DM Monatsgehalt bekommen, weigern sie sich, von uns auch nur eine Getränkerunde in der naheliegenden Kneipe ausgegeben zu bekommen.
Schweren Herzens müssen wir am nächsten Vormittag Abschied nehmen. Wir werden noch mit Ziegen- und Schafskäse für die nächsten zwei Tage versorgt. Einzige Bitte unserer Gastgeber ist, dass wir ein paar Fotos, die wir am Vorabend geschossen haben, an sie schicken. Na, das ist ja wohl Ehrensache.
Gut gestärkt geht’s 500 Kilometer durch Rumänien Richtung Norden. Frank winkt zwischenzeitlich nicht nur Kindern sondern auch jungen Damen in Miniröcken und hochhackigen Schuhen, die in Grüppchen am Straßenrand stehen, zu. Ich glaube nicht an die alleinige Wirkung zweier hierzulande exotischer Motorräder als Grund für soviel Freundlichkeit… Leider werden wir durch diesen Anblick etwas abgelenkt und geraten ein weiteres mal in eine Geschwindigkeitskontrolle. Zum Glück fällt der finanzielle Verlust wieder sehr gering aus.
Zwischendurch zwingen uns einige Ortsdurchfahrten wegen mangelnder Ausschilderung und übelstem Kopfsteinpflaster zu Schrittgeschwindigkeit. Außerhalb der Städte kann man mit einem wachen Auge auf eventuelle Schlaglöcher oder plötzlich erscheinende Pferdefuhrwerke recht hohe Durchschnittsgeschwindigkeiten fahren.
An der Grenze zu Ungarn werden wir noch mal kurz Opfer des rumänischen Humors… und unserer Eitelkeit. Ein rumänischer Grenzbeamter zeigt sich sehr interessiert an unseren Motorrädern und bittet uns, mal richtig mit Vollgas zu starten. Als wir dies tun, kommen aus einem kleinen Gebäude ein Dutzend wild gestikulierende Beamte, und wir müssen abrupt bremsen und den Pass ein zweites mal zücken…. Auf ungarischer Seite wird das mit Heiterkeit zur Kenntnis genommen und wir werden fast ohne Kontrolle durchgewunken.
Die restlichen Kilometer bis Kiel werden wieder von Autobahnen geprägt… und ich sehe Frank ein weiteres mal – kurz vor der tschechisch-deutschen Grenze – Minirockmädchen zuwinken. Na ja, bis zur nächsten Reise erkläre ich ihm nochmal die Sache mit den Bienen und Blumen – und was der Unterschied zwischen Tramperinnen und Straßenstrich ist….
Denn bei soviel Gastfreundschaft und tollen Landschaften bin ich mir sicher, dass es ein nächstes Mal geben wird…