aus Kradblatt 1/14
von Jogi / penta-media

Vor kurzem hat ein Leser in einem Brief bedauert, dass es außer der Honda Deauville eigentlich keine preisgünstigen Motorräder mit Kardanantrieb mehr gibt.Das ist wohl richtig, hat aber auch seinen Grund.
Der Spruch „kein Vorteil ohne Nachteil“ passt nirgendwo so gut wie bei der Konstruktion eines Motorrades. Mit welcher technischen Lösung die Motorkraft zum Hinterrad übertragen wird ist in erster Linie eine Frage, für welchen Einsatzzweck das Motorrad konstruiert wurde. Ich versuche einmal die wichtigsten Eigenschaften der unterschiedlichen Konzepte grob zu umreißen.

Kettenantrieb
Die meisten Hinterräder werden mit Kette, Zahnriemen oder Kardanwelle angetrieben. Zusätzlich gibt es auch noch Exoten, wie zum Beispiel den Suzuki Burgman 650 Roller, der fünf Zahnräder zur Kraftübertragung, in der Schwinge integriert, mit sich führt. Auf die Exoten möchte ich jedoch nicht weiter eingehen.
Die am häufigsten zu findende Lösung zur Übertragung der Motorkraft vom Getriebe zum Hinterrad ist der Kettenantrieb. Er ist relativ preisgünstig herzustellen, verträgt auch hohe Motorleistungen, bringt wenig Gewicht mit sich und hat eine gewisse Dämpfung im Lastwechselverhalten. Das klingt soweit alles ganz prima, aber, „kein Vorteil ohne Nachteil“, bringt der Kettenantrieb auch einige Unsitten mit sich.
So belästigt der Kettenantrieb nicht nur durch rasselnde und schnurrende Geräusche, sondern er verlangt zusätzlich nach stetiger Pflege, oder straft seinen Besitzer mit hohem Verschleiß, wenn dieser seiner Kette nicht genügend Aufmerksamkeit widmet. Das rechte Maß an Öl, Fett oder Silikonschmiere zu finden ist eine Gratwanderung. Ist es zu wenig Schmiere entwickeln sich Abrasion (Materialabtrag) und thermische Schädigung. Ist es dagegen zu viel Schmiere, schmoddert einem die Kette das gesamte Hinterteil des Motorrades voll. Pfui Deibel! Früher hatten Mopeds sogar Kettenschutzkästen gegen diese Sauerei. Der Dreck lässt sich übrigens sehr gut mit dem Universalsprayöl WD 40 oder Sprühwachs entfernen.
Besondere O-Ringe sollen Reibungsverluste minimieren. Schmierautomaten wie der „Scott-Oiler“ erleichtern die lästige Wartung, vorausgesetzt dass er richtig justiert ist, sonst läuft die Kette entweder zu trocken, oder es gibt wiederum die beschriebene Sauerei. Die Lebensdauer der heutigen Ketten ist demnach stark vom Einsatz und der Pflege abhängig.
Wer sein Kettenfahrzeug im Gelände bewegt, darf oft nur mit 10.000 km Lebensdauer rechnen, andere schaffen manchmal 40.000 und mehr. Je nach Grad der Beanspruchung reckt sich die Kette im Laufe der Kilometer. Das bedeutet immer schön auf die Kettenspannung zu achten und ggf. nachzuspannen. Das klingt allerdings aufwendiger als es in Wirklichkeit ist.

Riemenantrieb
Der Riemenantrieb, wie er bevorzugt bei Harleys und anderen Choppern verwendet wird, arbeitet dagegen schon sauberer, abgesehen von etwas Gummiabrieb. Er verrichtet ohne Ölgeschmiere und wesentlich leiser als eine Kette seine Arbeit. Das oft über 50.000 km. Lastwechsel nimmt er ebenfalls recht elastisch. Welch Vorteil! Um dem Spruch „kein Vorteil ohne Nachteil“ jedoch gerecht zu werden, muss ich nun allerdings auch noch einmal auf die gravierenden Nachteile eingehen. Sorry, liebe Harley-Fans.
Da der Riemen aus Gummi ist, wenn auch mit Gewebeeinlagen aus Nylon oder Kevlar verstärkt, unterliegt er einer natürlichen Alterung. Deshalb stirbt er oft ohne die geleisteten Kilometer an Altersschwäche und zu allem Überfluss auch noch ohne Vorankündigung. Das ist besonders gemein, wenn man mitten in der Kalahari steckt. Enduro-Piloten dürfen jetzt lächeln. Genau deshalb findet man die Riementreiber da auch so selten.
Der Riemen muss für die zu übertragende Leistung passend dimensioniert sein. Das alleine schränkt die Einsatzmöglichkeiten des Riemenantriebes ein, da die Breite ja auch andere Komponenten am Motorrad beeinflusst. Zu breite Riemen würden das Auge jedes Ästheten und Schöngeistes beleidigen.
Die wuchtige Riemenscheibe am Hinterrad, Pulley genannt, bringt beachtliches Gewicht auf die Waage. „Na und?“, mag da mancher Chopper-Fan sagen. „Was interessiert es mich, ob die Fuhre nun 380 oder 385 Kilo wiegt?“. Für die Freunde der Sportler und Supersportler, wie Kawasaki Ninja, Honda Fireblade und Yamaha R1, wird deshalb so ein Schwergewicht von den Herstellern gar nicht erst in Erwägung gezogen, abgesehen davon, dass man die Übersetzung z.B. für die Rennstrecke nicht mal eben so durch Ritzeltausch ändern kann.
Der Riemenantrieb neigt zu allem Überfluss auch noch zu quietschenden Geräuschen, wenn das Hinterrad nicht sauber justiert ist. Silikonspray hilft da schon mal, löst aber nicht das eigentliche Problem der Fehljustierung. Ganz im Gegenteil. Das Silikon sammelt Schmutzpartikel und bewirkt so eine langsame aber sichere Zerschmirgelung von Riemen und Pulley. Sauber justiert läuft der Riemen jedoch wunderbar leise. Ketten sind in der Justierung etwas toleranter. Besitzer einer Maschine mit Kardanantrieb werden das Problem gar nicht kennen.
Ein Anbieter, der verschiedene kettengetriebene Motorräder seit Jahren zuverlässig mit Zahnriemen ausstattet, ist die Firma VH-Motorradtechnik in Oldenburg (www.vh-motorradtechnik.de).

Kardanantrieb
Vermutlich freut sich jetzt der Leser, der so gerne mehr Kardanantriebe sehen würde und denkt: „Siehste, hab‘ ich doch gleich gesagt!“
Der Kardanantrieb scheint nämlich einiges an positiven Eigenschaften zu vereinen. Er läuft fast so leise wie ein Riemen, verträgt Power wie eine Kette, wirft nicht mit Öl um sich und hält ein Motorradleben lang. Theoretisch zumindest. Aber auch hier gilt: „Kein Vorteil ohne Nachteil“.
Je nachdem, wie viel Mühe und Aufwand der Hersteller betrieben hat, kann ein Kardan mit jaulendem Singen auch ganz schön nerven. Der als wartungsarm bis sogar wartungsfrei gepriesene Kardan bedarf trotzdem etwas Pflege und Aufmerksamkeit. Er möchte ab und zu frisches Öl für das Endgetriebe. Gebrochene Kardanwellen und Kreuzgelenke sowie ausgegnabbelte Kegelräder sind nicht die Regel, kommen aber vor. Zerfetzte Simmerringe und schwitzende Dichtungen zwischen den Einzelteilen vernichten die Mähr von der Wartungsfreiheit. Störrische, harte Lastwechselreaktionen und Auf- und Absenken der Heckpartie verhalfen alten BMW Motorrädern mit Kardanantrieb zu der Bezeichnung „Gummikuh“. Dieser Unsitte wurde mit endlos langen Schwingen oder einer Drehmomentabstützung entgegengewirkt. BMW nennt das Paralever. Auch der Kardanantrieb ist deshalb für ernsthaft im Renneinsatz bewegte Supersportler wenig geeignet, wo es ja auf Handling und Kurvenagilität ankommt. Lange Schwingen und Radstände sind besser zum Geradeausfahren, deshalb stecken sie meist in Tourern oder Choppern, wo stabil laufende und nicht zu nervöse Fahrwerke mit hohem Komfort durchaus erwünscht sind. Wo kurze Radstände für agiles Handling angesagt sind, ist der Kardan deplatziert.
Relativ hohe Fertigungskosten verbieten den Einsatz eines Kardans im preisbewussten Segment, oder es muss zum Ausgleich an anderer Stelle gespart werden.
Auch das hohe Gewicht disqualifiziert den Kardanantrieb für wettbewerbsmäßigen Renneinsatz. Hersteller die sich am Kardan verbissen haben erfinden deshalb gerne ihre eigenen Wettbewerbe. So vermeidet man von der Konkurrenz abgeledert zu werden. Ein Beispiel dafür war der Boxer-Cup für BMW R 1100 S Piloten, der inzwischen leider eingestellt wurde. Das soll jedoch nicht heißen, dass man ein kardangetriebenes oder riemengetriebenes Motorrad nicht sportlich ambitioniert bewegen kann. Für Höchstleistungen ist die Kette jedoch die bessere Wahl.

Fazit
Alle drei Arten die Kraft zu übertragen haben ihre Stärken und Schwächen. Wo welcher Antrieb zum Einsatz kommt ist in erster Linie vom Gesamtkonzept, dem Einsatzgebiet und dem angestrebten Preissegment abhängig, in dem die Maschine mitmischen soll.
Die Honda Deauville, von ihren Fans auch oft „die kleine Pan European“ genannt, trifft mit ihrem Konzept keine große Zielgruppe. Vermutlich wird sie deshalb in ihrer Preisklasse mit dem Kardanantrieb eine Seltenheit bleiben.

Tipp:
Da bei Wartungsarbeiten am Antrieb oft das Hinterrad ausgebaut werden muss, ist es der richtige Zeitpunkt auch über eine neue Bereifung nachzudenken. Das spart unnötige Montagekosten.