aus bma 03/04

von Fritz Hasselbrink

GruppenfotoWir, d.h. Bruno, Ralf, Reinhold mit seiner Frau und ich, hatten uns schon im Februar (nicht nur wegen einer Platzreservierung im Autoreisezug) zu einer Alpentour mit dem Motorrad verabredet. Bruno und Ralf wollten am Donnerstag, 29.06., in Hildesheim ihre Maschinen auf dem Autoreisezug nach München verladen. Reinhold hatte etwas später buchen wollen und konnte nur noch einen Platz am Freitag ergattem. Nur ich hatte mir die Anreise nach München mit dem Motorrad vorbehalten, um endlich einmal selbst zu erleben, hunderte von Kilometern auf der Autobahn abzuspulen. Dafür hatte ich zwei Tage eingeplant. Also fuhr ich am Mittwoch gegen 9 Uhr in Hannover auf die Autobahn. Die Autobahn war fast frei; vermutlich, weil die Sommerferien erst am anderen Tag anfingen. Ursprünglich wollte ich von der Autobahn ins Altmühltal abbiegen und dort übernachten. Die Hitze dieses Tages ließ in Kürze mit Gewitter rechnen. Ein Autofahrer berichtete mir beim nächsten Stop, dass der Wetterbericht für die Nacht und den folgenden Donnerstag für Süddeutschland Hagel und Sturm prognostiziert.
Um bei dem zu erwartenden Wetter Motorradfahren zu vermeiden, fuhr ich denn doch nicht zum Übernachten ins Altmühltal, sondern wollte in die Nähe unseres freitäglichen Treffpunktes an der BAB Hofoldinger Forst durchziehen. Nach 646 Kilometern war ich dann endlich in Deisenhofen, südlich von München. Nach einer Übernachtung kam der Freitag. Es sah nach schönem Wetter aus. Schnell das Moped aus der Hütte, Gepäck aufgeladen und gefrühstückt.

 

Nach kurzer Fahrt erreichte ich pünktlich unseren Treffpunkt. Bruno und Ralf waren schon vor Ort, nun konnte es endlich in die Berge gehen, die am Horizont im Dunst zu erahnen waren. In einem der ersten Orte, die wir durchfuhren, in Mießbach, standen Reklameschilder für eine Meisterschaft im „Goaßelschnalzen”, was immer das auch sein mag. Bis Schliersee begleiteten uns saftige Wiesen mit scheinbar zufrieden wiederkäuenden Kühen. Ein Foto am schönen See war einfach ein „Muss”. An den Häusern waren wunderbare „Lüftlmalereien” zu bestaunen. Den Wendelstein ließen wir im wahrsten Sinne des Wortes im Dunst links liegen. Noch glänzte das Teerband feucht in der Sonne und die Straße schien schmierig zu sein; aber es war von oben trocken und der Himmel war hellblau. So ist das nun einmal in den Alpen: alle paar Kilometer kann sich das Wetter ändern.
Am GroßglocknerIn 1120 Metern Höhe ging es über den Sudelfeldpass. Unter uns zogen Wolkenfetzen vorbei. Den Tatzelwurm entlang gekurvt, oder besser gesagt geschunkelt. Um den Großvenediger herum fing es dann doch etwas an zu regnen, so dass uns der Anblick der ersten Schneefelder auf dieser Tour für das Wetter entschädigen musste.
Die Flüsse, die wir passierten, z. B. Inn und Salzach, transportierten bis zum Rand gefüllt lehmigbraunes schmutziges Wasser. Bei diesem Anblick schlug Ralf einen Abstecher an die Krimmler Wasserfälle vor. Bruno und ich kannten die Fälle noch nicht; also sind wir zu diesem seltenen Naturschauspiel, gegen Eintrittsgeld natürlich, hingefahren. Danach dann durch Kitzbühel über den Pass Thum (1274 m) weiter durch Mittersill und Bruck ging es über die Großglockner Hochalpenstraße mit dem Hochtor (2575 m) vorbei an vier Meter hohen Schneewänden nach Heiligenblut. Von diesem Ort aus soll man 37 Dreitausender und 19 Gletscher sehen können. In Winklern fanden wir nicht nur hervorragende Zimmer, freundliche Bedienung, schmackhafte Speisen, sondern auch eine Garage für die Maschinen. Der Tageskilometerzähler zeigte seit Abfahrt von unserem Treffpunkt inzwischen 297 Kilometer an. Es ist eben doch ein Vorteil, wenn man nur zu dritt reist.
Am anderen Tag, für mich inzwischen der vierte Urlaubstag, erklommen wir den Iselsberg (1208 m) . Von Lienz nach Sillian fuhren wir durch das Pustertal am Ufer der Drau entlang immer inmitten einer großen Blechkarawane. In Innichen aber dann: ade Trubel. Wir bogen links ab über Sexten, um den Kreuzbergsattel (1636 m) und den Paso Tre Croci (1805 m) zu bewältigen. In Cortina glich der Verkehr in der Innenstadt dem italienischer Großstädte.
Über den Falsaregopass (2105 m) gelangten wir in die Dolomiten. Aus meiner Erfahrung wusste ich, das schneewetterbedingt der Pass gesperrt sein könnte; und überhaupt: vorsichtshalber hatten wir unsere Thermokombis mitgenommen (wir haben sie aber auf der ganzen Tour nicht gebraucht). Hier ist unübersehbar, dass die Front der Alpenschlachten (1915 bis 1917 Königreich Italien gegen Deutsche und Osterreicher) über diese Stelle lief. Sogar ein Geschütz steht noch auf dem Plateau. Trotzdem haben wir diesem Krieg diese Pässe zu verdanken. Sie dienten dem Nachschub und wurden in den Fels gesprengt. Obwohl diese blutigen Schlachten schon seit über 80 Jahren vorbei sind, sind sie doch immer noch in der Erinnerung erhalten.
Vom Falsarego aus wedelten wir den Pass hinunter nach Arabba. Es folgten die Pässe Pordoi (2239 m) und Sella (2244 m). Immer zur rechten Seite das Massiv des Sella. Auf den Pässen schienen uns sämtliche italienischen Motorradfahrer der Heizerfraktion Anschauungsunterricht im Knieschleifen geben zu wollen. Wir aber wollten die Landschaft genießen und kein Risiko eingehen und konnten die schleichenden Touristenbusse kaum überholen. So kamen wir in den bekannten Ort Wolkenstein. Abgesehen von den sehr hohen Preisen im Gebiet der Dolomiten kamen wir uns wie Bettler vor, von Tür zu Tür ziehend nach drei Einzelzimmern fragend. Endlich, in St. Ulrich, fanden wir etwas. Abends hatten wir in einer Pizzeria etwa wagenradgroße Pizzen auf den Tellern. Inzwischen hatte es angefangen stark zu regnen. Wir waren froh, dass unsere Mopeds auch dieses mal wieder unter Dach waren. Heute leben in den Ortschaften rund um das Sella-Massiv noch etwa 20.000 Menschen, die ladinisch (diese Sprache ist aus dem Lateinischen entstanden, ein Relikt aus der Zeit der römischen Besetzung), deutsch und italienisch sprechen.
DolomitenEigentlich sollte heute morgen Reinhold mit seiner Frau zu uns stoßen. Als Bruno aber mit seinem Handy bei Reinhold anrief, waren sie noch zu Hause. Wir werden nach unserer Rückkehr klären, was hier los war.
Am dritten Tag unserer Passfahrerei umfuhren wir Bozen. Der Paso Pinei sollte an diesem Tage nur der erste Pass sein. Und wieder gab es unzählige Schaltvorgänge vor und nach unzähligen Kehren, die ich teilweise im ersten Gang durchfuhr, um nicht zuviel Drehzahl zu verlieren.
Es war Sonntag und Formel 1-Rennen. Schumacher hatte im Ferrari gewonnen. Die Italiener feierten bei 35 Grad im Schatten. An einer Tankstelle am Mendelpass (1363 m), an der wir tanken mussten, war der Kassierer offensichtlich völlig betrunken. Er war nicht mehr in der Lage die Kreditkartenmaschine zu bedienen. Die Menge der „Knieschleifer” war ins Unendliche gewachsen. Innerhalb von fünf Minuten kamen uns über 100 Motorradfahrer entgegen, d.h., wenn sie schön nacheinander gekommen wären, wäre uns alle drei Sekunden ein Motorrad entgegengekommen. Selbstverständlich wurden wir auch noch von Motorrädern waghalsig überholt. Teilweise kamen uns die Motorräder mit Sozia hintendrauf in Dreier- und Vierer-Reihe nebeneinander, die gesamte Straßenbreite einnehmend, entgegen. Wir „erledigten” noch den Tonalepass (1883 m) und den Apricapass (1176 m) und verließen Italien.
Kaum waren wir über die Schweizer Grenze gekommen, war es wieder ruhig auf den Straßen. Nie wieder Sonntags in Italien auf der Straße! Auf dem Bernina Pass (2328 m) war es sehr abgekühlt: nur noch zwölf Grad bei Sonnenschein. Trotzdem war die Fahrt wieder wunderschön ohne die rabiaten Motorradfahrer. Nun hatten wir für heute genug geleistet und brauchten Entspannung. In Samedan, im Schweizer Rätikon, brauchten wir Zimmer; das hatte uns heute absolut gereicht. In einem Haus, das zu Napoleons Zeiten schon bestanden hatte, bekamen wir Zimmer und Garage für die Maschinen.
Anderntags ging es am Inn entlang durch das schöne Oberengadin. Auf dem Flüelapass (2383 m) war es wieder sehr kalt, etwa null Grad. Zwischen Davos und Klosters folgte der Wolfgangpass (1626 m). Hinter Landquart kamen wir ins Liechtensteinsche und quälten uns durch den dichten Verkehr in Vaduz. Wieder in Österreich, Vorarlberg, fuhren wir durch das Montafon mit seinen Skiorten Schruns und Tschagguns. In St. Gallenkirch beschlossen wir an diesem schönen Sonnentag eine längere Pause einzulegen und suchten uns schon mittags ein Nachtquartier. Wunderbare Zimmer und Garage – und das Ganze äußerst preiswert. Nach einer Dusche ging es ins Dorf, ein möglichst großes Eis schlemmen. Ein Lokal mit Sonnenterrasse war schnell gefunden und auch Plätze unterm Sonnenschirm. Eine charmante attraktive Wirtin bediente mich schnell mit einem großen Eisbecher. Eigentlich wollte ich auf dieser Reise mindestens ein Kilo abnehmen, damit mir mein Lederzeug wieder besser passt, aber bei so einer Kalorienbombe wohl kaum möglich, auch kaum möglich bei unseren täglichen gemütlichen „Herrenabenden” bei Bier und Obstlern.
Am fünften Tag unserer Alpentour lag ein weiterer Leckerbissen vor uns: die Silvretta Hochalpenstraße mit dem Silvretta Stausee an der Bieler Höhe (2036 m). Nach der Passage kamen wir in das Paznauntal. Hier in Galtür war im Januar 1999 das schreckliche Lawinenunglück passiert. Noch heute sind Bauarbeiten an den damals zerfetzten Häusern zu sehen. Auch Ischgl lag auf unserer Strecke, rechtsseits die Samnaun-gruppe mit seinen Dreitausendern.
Bieler HöheVon Landeck aus wollten wir nach Imst fahren und dann über den Fernpass (1260 m). Die Ortshinweisschilder nach Imst und zum Fernpass führten uns auf eine autobahnähnliche Straße, offensichtlich gab es keine andere. Nach wenigen Kilometern zeigte der Wegweiser nach Imst von dieser Straße hinunter. Kaum hatten wir diese Straße verlassen, als wir durch österreichische Polizei gestoppt wurden. Wir hatten ein absolut reines Gewissen, hatten wir uns doch genau an die Vorschriften der Ösis gehalten und hatten alles an Bord. Aber danach wurde gar nicht gefragt; ausschließlich nach dem „Pickerl”, der Autobahnmautvignette. Diese hatten wir natürlich nicht. Hatten wir doch nur kleine Straßen eingeplant. Es half alles nichts. Wir mussten jeder sofort 127,92 DM Strafe bezahlen. Zum Glück konnte ich mit meiner Kreditkarte zahlen, die hatten so eine Einrichtung in ihrem Fahrzeug. Mit mächtiger Wut im Bauch fuhren wir nun über den Fernpass (1216 m) und wollten von Ehrwald aus noch auf die Zugspitze. Mit unserer Verärgerung wollten wir in Österreich aber keinen Pfennig mehr ausgeben und fuhren erst einmal über die deutsche Grenze zurück. Inzwischen war es Mittag geworden. Bei einer Pause mit Currywurst und Pommes besprachen wir dann, wie es weitergehen sollte. Ralf und Bruno hatten noch bis Donnerstag, also zwei volle Tage, Zeit, bis zur Verladung ihrer Maschinen in München. Deshalb einigten sich die beiden darauf, am nächsten Tag von Grainau aus die Zugspitzbahn zu nehmen und am Donnerstag langsam durch München bummelnd den Tag zu verbringen.
Ich gebe ja zu, dass mir diese „Pickerlgeschichte” sehr im Magen lag und da ich mehrfach auf der Zugspitze war und München sehr gut kenne, entschloss ich mich etwa gegen 14 Uhr auf dem kürzesten Wege nach Hannover zurückzufahren.
Am Ortsausgang von Garmisch konnte ich auf die Autobahn fahren, musste nun quer durch München und dann wieder auf die Autobahn und war abends gegen 20.45 Uhr zu Hause, nachdem ich an diesem Tage eine Strecke von 114 Kilometern Alpenfahrt und 752 Kilometern Autobahn (zusammen also 866 Kilometer) gefahren war. Die Gesamtstrecke durch fünf Länder und über 17 Pässe betrug somit 2517 Kilometer, wovon jeder für sich ein schönes unvergessliches Erlebnis war.