aus Kradblatt 6/14
von Klaus Herder

 

Schmunzelmonster oder Porno pur? 

 

Ducati-Monster-1200SVermutlich kennen Sie das: Da läuft im Radio irgendein Ohrwurm, den man tatsächlich kennt und den man auch mitsummen kann. Just in dem Moment, als man sich im Stillen fragt, ob der Song nun aus dem vorletzten Jahr stammt oder womöglich doch noch etwas älter ist, verrät eine freundliche Radiostimme, dass das nun der letzte Titel der heutigen Oldie-Parade war und dass die Band Alphaville damit 1984 einen Nummer-drei-Hit hatte. Und wieder ist das solch ein Moment, in dem man schmerzhaft merkt: Scheiße, ich bin echt alt geworden!

Sie müssen nun ganz tapfer sein, denn mit dieser erschreckenden Erkenntnis geht es nun gnadenlos weiter: Die Ducati Monster gibt es nämlich bereits seit über 20 Jahren! Genauer gesagt seit der IFMA 1992, auf der die 78 PS starke M 900 Monster für das Modelljahr 1993 Premiere feierte. Seitdem bescherten uns mehrere Monster-Generationen in Zwei- oder Vierventilausführung, luft- oder wassergekühlt, zwischen knapp 600 und 1100 cm³ groß und rund 50 bis 130 PS stark das monstermäßige Gefühl, auf einem sehr sportlichen Naked Bike zu sitzen. Auf einem extrem sportlichen Naked Bike, denn eigentlich war die Monster – zumindest in ihren etwas hubraumstärkeren Ausführungen – nie etwas anderes als ein gestripptes Superbike. Und das mit allen Vor- und Nachteilen. So war es eigentlich völlig normal, dass sich der Fahrer mächtig über den Monster-typischen Stiernacken-Tank spannen musste, um an den meist ziemlich niedrig montierten Lenker zu kommen. Und kaum einer der weltweit 275452 Monster-Käufer hat sich wohl jemals ernsthaft darüber mokiert, dass die Beine normalwüchsiger Monster-Fahrer einen – nun ja – ziemlich „dynamischen“ Kniewinkel einnehmen müssen, damit die Füße auf die Rasten passen. Schwergängige Kupplung, brutalst zupackende Stopper, gewöhnungsbedürftige Leistungsabgabe, unharmonische Abstimmung der Federelemente? Geschenkt – hey, wir fahren nicht irgendeine weichgespülte Nackte, wir fahren Monster!

Ducati-Monster-1200S rechtsSo war das zumindest rund 20 Jahre lang, aber auch die leidensfähigsten Ducati-Fans werden älter. Und damit womöglich etwas bequemer. Da lässt man sich dann nicht mehr alles gefallen, zum Beispiel keine Streetfighter S, mit 155 PS die bislang stärkste unverkleidete Serien-Duc: schön und stark, aber auch ziemlich garstig und nicht wirklich ein Bestseller. Und somit 2014 nicht mehr im Programm. Für den leistungsorientierten Liebhaber unverschalter Italo-Ware hat Ducati nun etwas viel Umgänglicheres im Angebot: die Monster 1200 und ihre etwas extrovertiertere Schwester Monster 1200 S. Die Unterschiede zwischen der 15990 Euro teuren S-Version und dem 2500 Euro günstigeren Basismodell sind schnell ausgemacht. Erste Unterscheidungsmerkmale: Der S-Schalldämpfer ist schwarz statt silber, und sie rollt auf Schmiederädern im Y-Design statt auf etwas weniger filigranen Guss­rädern. Zudem sind bei der S voll einstellbare Öhlins-Federelemente anstelle einer Kayaba-Gabel und eines Sachs-Federbeins montiert, und der S-Vorderradkotflügel besteht aus Karbon statt aus gespritztem Kunststoff. Bei der S packen leichte und teure Brembo M-50-Sättel an 330 mm Scheiben; bei der Basis-Monster sorgen etwas weniger aufwendige M4-32-Sättel mit 320 mm Scheiben für Verzögerung. Den Unterschied dürften im Alltag nur sehr sensible Naturen spüren, die auch ansonsten das Gras wachsen hören. Ein geändertes Mapping soll außerdem dafür sorgen, dass die S etwas mehr Feuer hat und ein wenig mehr Druck macht. Laut Pressemappe 145 statt 135 PS bei 8750/min und maximal 124,5 statt 118 Nm bei 7250/min. Die mittlerweile bei den Händlern stehende Monster 1200 S ist tatsächlich aber mit 137 PS homologiert, was zwar etwas weniger als versprochen ist, aber nichts daran ändert, dass wir es mit der bislang stärksten Serien-Monster aller Zeiten zu tun haben. Basis oder S? Praktische Gründe sprechen kaum für die teurere Version. Das gute Gefühl und der Strunz-Faktor am Stammtisch oder Bikertreff sind aber klare Argumente dafür, mehr Geld als nötig auszugeben.

Ducati-Monster-1200S-linksEgal, ob Monster 1200 oder – wie in unserem Fall – Monster 1200 S: Sie ist unverkennbar immer noch eine Monster, aber dass die Design-Zeiten auch bei Ducati nicht stillstehen, sieht man ihr doch auf den ersten Blick an. Das Stummelheck mit dem seitlich montierten Kennzeichenhalter zitiert die Diavel, die geschwungene Krümmerführung ähnelt ebenfalls der des schrillen Flacheisens. Mit dem für ein Naked Bike recht langen Radstand von 1511 mm wirkt die 1200er Monster zudem ungewöhnlich gestreckt. Stichwort „Strecken“: Der Fahrer hockt immer noch mit leicht vorgebeugtem Oberkörper in einer ziemlich vorderradorientierten Sitzposition und packt den Stier am breiten Lenker bei den Hörnern – so kennen wir das. Aber: Alles ist nicht mehr so extrem, und über einen Kunststofftank muss sich auch niemand mehr mühsam spannen. Das liegt zum einen daran, dass der nun 17,5 statt 13,5 Liter fassende Spritbehälter jetzt aus Stahlblech gefertigt ist (was die Nutzer von Magnet-Tankrucksäcken besonders freuen dürfte), und vor allem daran, dass die Lenkerenden vier Zentimeter höher und auch vier Zentimeter weiter in Richtung Fahrer gerückt sind. Und auch die Fahrerfußrasten sind nicht mehr ganz so weit hinten und ganz so weit oben montiert wie zu sportlichsten Monster-Zeiten. Nun sitzen nicht nur kleine Italiener, sondern auch normalwüchsige Nordeuropäer bequem, und die Schräglagenfreiheit stimmt immer noch. Das vorn nun etwas breitere und insgesamt auch ein wenig üppiger gepolsterte Sitzkissen verbessert den Komfort ebenfalls. Das Wort „optimieren“ ist in diesem Zusammenhang allerdings nicht ganz angebracht, denn in typischer Ducati-Manier sind die Ausleger der Sozius-Fußrasten immer noch dermaßen dämlich angebracht, dass der Fahrer mit den Fersen anstößt, das Knie stärker als nötig eindreht und bei etwas schrägerer Schräglage Gefahr läuft, einen Teil des Stiefelleders einzubüßen, wenn er nicht aufpasst. Das ist’s dann aber auch schon mit der Ergonomie-Meckerei, ansonsten ist der Fahrer auf der mittlerweile höhenverstellbaren (!) Sitzgelegenheit wirklich ordentlich und spürbar besser als bisher untergebracht.

Ducati-Monster-1200S-CockpitEbenfalls Ducati-typisch ist das vermeintlich zähe Startprozedere. Der Unwissende glaubt, dass die Starterbatterie in den letzten Zügen liegt und echte Mühe hat, dem Anlasser ausreichend Saft zu liefern. Keine Sorge: Das gehört so und es ist völlig normal, dass die Kurbelwelle etwas länger braucht, um in Wallung zu kommen. Der immerhin 12,5:1 verdichtete Testastretta-Motor ist grundsätzlich ein sehr zuverlässiger und unkomplizierter Starter. Der wassergekühlte 1198-Kubik-Vierventiler wird in ziemlich ähnlicher Form auch in der Multistrada und in der Diavel verbaut, leistet in beiden Fällen aber etwas mehr. In der Monster-Abstimmung legt der mit Doppelzündung bestückte Motor etwas mehr Wert auf Druck bei niedrigen und mittleren Drehzahlen. Kleine runde statt riesiger ovaler Drosselklappen machen’s unter anderem möglich, und auch die Einspritzdüsen gibt’s in dieser Konfiguration nur in der Monster. Bereits dann, wenn der Vauzwo die ersten Leerlauftöne von sich gibt, weiß der Zuhörer ziemlich genau, zu welcher Fraktion er gehört: zur Rumpel-rassel-Gruppe oder zum Herzschlag-Fanclub. Wer einen pulsierenden, bassigen Beat bevorzugt, hört bei der Monster 1200 S genau richtig. Wer aber immer schon der Meinung war, dass die Japaner viel kultiviertere Motoren bauen können, liest jetzt besser nicht weiter – das wäre ansonsten reine Zeitverschwendung.

Ducati-Monster-1200S-Motor-RahmenSo, jetzt sind wir unter uns, und da schert es uns doch herzlich wenig, dass die Monster-Kaltlaufphase etwas länger dauert und dass der Twin anfangs nicht ganz so sauber am Gas hängt wie ein, sagen wir mal, Allerwelts-Japo-Vierzylinder. Wir mögen vielleicht älter geworden sein, gefühlskalt sind wir deshalb aber noch lange nicht. Also: Der Testastretta hat langsam Betriebstemperatur erreicht, und nun stimmt auch die Gasannahme. Und wie sie stimmt! Mit unvergleichlich geschmeidigem Schub schiebt der unter Last herrlich (nicht prollig) brüllende und im Schiebebetrieb wunderbar brabbelnde Twin die vollgetankt 213 Kilo leichte Fuhre vorwärts. Die Unten-Mitte-Abstimmung ist ein voller Erfolg. Besonders in der Mitte, denn dermaßen wuchtig wie die 1200er hat bislang noch keine Monster reingelangt. Ab 5000 Touren ist ganz, ganz großes Kino angesagt, und darüber brennt bis zum fünfstelligen Bereich die Luft. Und das völlig ohne Loch oder auch nur Delle – heftigster Nonstop-Durchzug, bis der Drehzahlbegrenzer kommt. Oder um es richtig schön platt zu sagen: megageil! Das knackige Sechsganggetriebe ist für den Landstraßentanz perfekt übersetzt. Der Griff zur Kupplung benötigt allerdings etwas erhöhte Handkraft, und der Dosierweg könnte gern etwas länger sein. Egal, der famose Motor macht alles Peripherie-Genörgel vergessen.

Ducati-Monster-1200S Wer vor lauter Begeisterung noch Zeit findet, sich mit dem serienmäßigen Elektronik-Gedöns zu beschäftigen, wird üppig bedient. Drei Fahrmodi lassen sich auch während der Fahrt wählen: Sport, Touring und Urban. Im Sport-Modus werden Gasgriff-Befehle ziemlich direkt und hart umgesetzt. Im öffentlichen Verkehrsraum ist der Touring-Modus fast immer die bessere Wahl. Höchstleistung gibt’s auch hier, aber die Gasannahme ist nicht mehr ganz so ruppig. Im Urban-Modus stehen nur noch maximal 100 PS zur Verfügung, und das Drehmoment ist über den gesamten Drehzahlbereich um rund 25 Prozent gekappt – eine durchaus sinnvolle Sache, wenn die Monster mal im Regen ausgeführt werden soll. Neben dem Ansprechverhalten des Motors beeinflusst die Wahl der Fahrmodi auch das Verhalten der Traktionskontrolle und des ABS. Die Bandbreite reicht auch dabei von „fast schon waffenscheinpflichtig und eigentlich nur für die Rennstrecke“ bis zu „lammfromm und auch prima für Blümchenpflücker“. Doch damit nicht genug des Elektronik-Zaubers: Das schön bunte und knackscharfe (bei direkt einstrahlender Sonne aber nicht wirklich gut ablesbare und nicht entspiegelte) TFT-Display im Cockpit zeigt je nach Fahrmodus ein anders Display-Layout und bietet unterschiedliche Informationen – netter Spielkram, aber nicht wirklich kriegsentscheidend.

Ducati-Monster-1200S-HeckDa freuen wir uns doch lieber über die gelungene Fahrwerksabstimmung, denn die Zeiten, in denen eine Monster vorn zu weich und hinten zu hart war und zu erhöhter Nervosität im dynamisch durcheilten Winkelwerk neigte, sind nun vorbei. Vorn und hinten straff, aber nicht unbequem gefedert, sauber ausbalanciert und damit neutral und jederzeit gut berechenbar lässt sich’s mit der Duc ums Eck blasen. Keine Sorge: Wie ein Fahrrad fällt auch die neueste Monster nicht in die Kurve, sie mag immer noch einen zupackenden Fahrer. Doch im Unterschied zu früheren Zeiten macht sie dann auch exakt das, was dieser will. Und so ganz nebenbei auch noch ein paar mehr feine Sachen, wie zum Beispiel genial gut bremsen und extrem wenig verbrauchen – wer auf 100 Kilometern mehr als fünf Liter abfackelt, macht irgendetwas Grundlegendes falsch. Zum geringen Verbrauch gesellen sich niedrige In­spektionskosten (Service-Intervall 15000 Kilometer!) und eine tadellose Verarbeitung der in (natürlich) Rot und Weiß lieferbaren Maschine. Doch stopp – wir fangen jetzt nicht damit an, rationale Kaufgründe zu sammeln, denn eins hat sich in über 20 Monster-Jahren nicht geändert: Es sind hauptsächlich Bauch und Herz, weniger das Hirn, die einen zum Kauf einer unverkleideten Ducati verführen. Wir mögen zwar alle älter geworden sein, vernünftiger sind wir deshalb aber noch lange nicht.

Eine 2. Meinung von Marcus Lacroix:
Ich hatte Gelegenheit, die 1200er Monster auf einem kurzen Nachmittagsritt auszuführen und kam mit einem fetten Grinsen zurück. In meinen Augen war das Porno pur! Schmunzelmonster geht zwar auch, speziell im Urban-Mode, aber ich hatte echt Herzrasen. Den Sport-Mode braucht es dazu nicht und so eine Traktionskontrolle ist sowieso der Wahnsinn.